Betritt man das Auditorium in Göttingen, betritt man eine andere Zeit. Nicht Wenige haben das alte Gebäude mit englischen Internaten oder Herrenhäusern verglichen, die alten Treppen und Handläufe, schweren Türen und altertümlich anmutenden Fenster tragen dazu bei. Im obersten Stock befindet sich die Kunstsammlung. Ist die Kustodin Dr. Anne-Katrin Sors zugegen, sind ihre Schritte von Weitem schon zu hören.

Grafiken in der Uffenbach-Sammlung, copyright: Jana Schaefer

„Hallo Frau Schaefer! Schauen Sie sich um, ich bin gleich bei Ihnen.“, tönt es mir von der Kustodin entgegen, bevor sie an mir vorbeirauscht.

Die Kunstsammlung besteht in diesem Jahr schon seit 252 Jahren, sie ist die älteste Sammlung Deutschlands. Schon seltsam, dass es die älteste Sammlung dieser Art ist und unter Göttinger*innen doch so unbekannt. Seit 1987 ist das Auditorium der Standort der Sammlung. Ein wesentlicher Aspekt ist seit jeher die Einbeziehung aller Sammlungsbereiche in die Lehre. Neben Göttingen gehören nur die Sammlungen von Trier und Tübingen direkt zu ihren Universitäten. Für Studierende der Kunstgeschichte ein immenser Vorteil, können sie sich doch direkt vor Ort mit Originalen verschiedenster Gattungen beschäftigen.

„Das Liebste ist mir eigentlich, […] ich wollte immer ans Museum, weil ich gerne an Objekten arbeite.“

Dr. Anne-Katrin Sors

Die Dielen quietschen während man durch die Dauerausstellung geht. Hier gezeigt werden besonders viele Gemälde aus den Niederlanden, der Schwerpunkt der Gemäldesammlung liegt auf Werken des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ob die Betrachtenden nun Gefallen finden an Bildern von Segelbooten oder doch lieber eine Landschaft bestaunen, die Sammlung ist breit gefächert. Bibelszenen und Heiligenbildern wechseln sich mit mythologischen Szenen ab. Ein Gemälde ist so nicht nur mit Farbe gemalt, sondern enthält Pigmente aus echten Schmetterlingsflügeln. Das Moos selbst wurde hier mit echtem Moos aufgetragen, sodass die Struktur dem natürlichen entspricht.

In einer Rotunde, einem durch vier Wände erstellten abgegrenzten Teil der Ausstellung, ist eine Portraitgalerie angebracht: Neben Caroline von Hannover und ihren Sohn reiht sich so auch Gottfried Wilhelm von Leibniz, ein Philosoph und wichtiger Vordenker der Aufklärung. Sein Porträt kam 1805 in die Kunstsammlung. Die Kustodin erzählt dazu, dass der Maler des Ölbilds unbekannt sei und so lange nicht gesichert war, ob es sich wirklich um Leibniz handelt. So mussten mehrere Zeitzeugen mit einem Brief und Siegel versichern, dass er so ausgesehen habe. Die Siegel befinden sich noch heute auf der Rückwand des Gemäldes.

Durch einen breiten Flur mit Gipsabgüsse von unter anderem kirchlicher Schatzkunst kommen Besuchende über das Foyer in die Sonderausstellung. „Aller Künste Wissenschaft. Die Sammlung des Johann Friedrich von Uffenbach (1687-1769)“ zeigt dabei die Schenkung nach dem Tode des Sammlers. Uffenbach entstammt einer reichen Patrizierfamilie aus Frankfurt, der sich aufgrund seiner wohlhabenden Herkunft seinen Reisen widmen konnte. Auf diesen erstand er neben Kunst auch technische und mathematische Zeichnungen und Objekte. Seine Sammlung bildet den Anfang der Universitätssammlung.

Foyer der Uffenbach-Ausstellung, copyright: Jana Schaefer

„So eine Ausstellung vorzubereiten dauert schon lange“, sagt Sors. Schon im Wintersemester 2019/2020 fand dazu ein Seminar zu seltenen Handschriften statt. Selbstverständlich abgehalten von der Kustodin persönlich. Neben der Arbeit in der Sammlung ist sie immerhin auch Dozentin. „Ich arbeite gerne an Objekten, das macht mir so viel Spaß und am schönsten ist es natürlich, etwas neues zu entdecken. Mir macht es mittlerweile aber genauso viel Spaß, wenn Studierende etwas entdecken, das ist ja der Spaß! Wir als Kunstsammlung an der Uni erleben das ja mit.“ Dennoch sei es immer zu wenig Zeit, um eine Ausstellung vorzubereiten. Die Ausstellung sollte so eigentlich schon zur 250. Gründungsfeier vor zwei Jahren stattfinden, doch Corona kam dazwischen. Diese Ausstellung besteht zu großen Teilen aus Büchern, daher haben die Restaurator*innen der Universität viel zu tun gehabt. Neben der sorgfältigen Restaurierung der Handschriften schufen sie auch Buchwiegen, also kleine Podeste auf denen die Bücher ruhen können. Denn der Buchrücken wird durchs Aufschlagen und lange Liegen gestresst, so sagt man in der Kunstgeschichte.

Hände einer Restauratorin, welche sich mit einem Bucheinband beschäftigt, copyright: Jana Schaefer

Die Ausstellungsräume werden fast jährlich von Praktikanten*innen der Kunstgeschichte der Universität umgebaut. Seit 2011 bietet Sors Praktika vor Ort an: Immer wenn sie Hilfe braucht und ihre Angestellten zu viel zu tun haben. Für die teilnehmenden Studierenden ist dies eine zugängliche Erfahrung, wie der Ablauf in einem Museum vonstattengeht. Außerdem deckt es einen Pflichtteil in ihrem Studium ab. Im letzten September waren es 11 Praktikanten*innen. Sie haben Bilder an speziellen Hängesystemen an die Wände gebracht, die Wände farblich ausgebessert oder auch ein Raumkonzept erstellt. Auch die Sonderausstellung haben sie aufgebaut.

Zu bestaunen sind dort neben den Handschriften auch ein Himmelsglobus, Sonnenuhren und mehrere Kanonen. Eine besondere Leidenschaft hatte der Sammler Uffenbach für Feuerwerke, so finden sich unzählige Zeichnungen in seinen fast 8.000 Seiten umfassenden Tagebüchern. Der Sammler ließ sich aufgrund seiner Interessen an Technik und Durchführung auf seinen Reisen persönlich von den Baumeistern durch besuchte Burgen führen oder fragte etwa einen Müller nach der Funktionsweise und Bauart seiner Mühle.

„Meine liebste Anekdote, meine Güte da gibt es so viele! Ich find natürlich immer noch lustig, dass wir diese unsäglichen Ananas-Bilder haben. Die Geschichte kenne ich nur durch meine Hilfskräfte, die mir das von meinem Vorgänger erzählt haben.“, lacht Sors. Der Universität wurde in Südamerika eine Ananasplantage vererbt, Bedingung dabei war aber, dass die Bilder der Ehefrau des Spenders in die Kunstsammlung aufgenommen werden. Die Bilder selbst sind künstlerisch nicht sehr anspruchsvoll, aber sie hängen seit Jahrzehnten im Depot. Die Ananasplantage dagegen ist nie ausfindig gemacht worden. Selbst in den Archiven der Universität ist diese nirgends aufgeführt. Auf den Bildern selbst ist keine einzige Ananas abgebildet.

An einem Wochentag liegt die Kunstsammlung der Universität in ihrem Dornröschenschlaf, erst am Wochenende können Besucher*innen die Gemälde, Skulpturen und Gipsabgüsse bewundern. Gerade Sonntags stehen oft schon Rentner*innen vor den Öffnungszeiten vor dem Auditorium und warten ungeduldig, eingelassen zu werden. Drei Studierende arbeiten pro Schicht im 2. Stock des Auditoriums. Sie beantworten Fragen und erklären Objekte. Sie bieten den Besucher*innen aber auch Gespräche. Außerdem sind sie auch für das Auffüllen der Luftbefeuchter zuständig, die mit ihrem leisen Gluckern das einzige Geräusch in den Räumen sind.

Schiebegitter im Depot, copyright: Jana Schaefer

Hinter den Kulissen findet sich das Depot und die bald ins Auditorium umziehende Grafische Sammlung. Dieser Umzug steht seit 10 Jahren bevor, sodass die Blätter sich in einem optimale Klima wiederfinden. Dabei sind zum Beispiel das „Hundertguldenblatt“ von Rembrandt, welches mit der Uffenbach-Sammlung seinen Weg in die Universität fand. Die Radierung, eine mit einer Metallnadel angefertigten Zeichnung, erstand der Sammler für nur ein Goldstück. Heute ist sie tausende Euro Wert. In den Seminaren zu Druckverfahren dürfen auch schon Erstsemester dieses Kunstwerk in die Hand nehmen. Im Depot hängen an großen Schiebetüren aus Metallgittern die Gemälde, sortiert nach Ländern: Italien, Deutschland, Niederlande. Ganz links die Ananas-Bilder. Daneben stehen in regalen Büsten und Skulpturen, das Ausmaß der Sammlung ist kaum greifbar.

Die Mischung aus Lehre und Museum macht die Sammlung zu dem was sie ist. Die Ausstellungsräume sind durch die Renovierung von 2011 in einem musealen Zustand, der in anderen Einrichtungen schnell etwas steif wirken kann. Hier ist die Atmosphäre beinahe familiär. Mit den Kunstwerken wird natürlich mit großer Sorgfalt umgegangen, doch die Kustodin drückt ihren Praktikanten*innen und Mitarbeiter*innen auch Bilder im Wert von tausenden Euro in die Hand. Denn nur so könnten diese den Umgang mit ihnen erlernen. So kommt es auch vor, dass die Haken für die Hängung von Studierenden in die antiken Bilderrahmen gedreht werden-unter Aufsicht, versteht sich, und immer mit Handschuhen.

Was sich Sors für die Zukunft wünscht? „Dass die Kunstsammlung weiterhin wenigsten einen Tag die Woche aufbleibt, um jedem die Möglichkeit zu bieten Kunst in Göttingen zu sehen.“

Die Kunstsammlung im Auditorium in der Weender Landstraße 2 ist jeden Samstag und Sonntag von 11-17 Uhr für Besucher geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.uni-goettingen.de/de/304930.html