Im Untergrund der Göttinger Innenstadt haben einige Keller die letzten Jahrhunderte überdauert. Viele von ihnen sind nicht frei zugänglich. Die Geschichte der Räumlichkeiten führt über lange vergessene Kloaken, in denen man heute italienisches Essen genießen kann über künstlerisch genutzte Gewölbekeller bis hin zu alten Gefängniszellen. Sie erzählen ihre Geschichten im Verborgenen, für Passanten unsichtbar, die tagtäglich die Innenstadt durchqueren.
Steigt – am besten mit einer VR-Brille – hinab in Göttingens älteste Keller und erlebt ein Stück Stadtgeschichte. Wer die Atmosphäre selbst erleben möchte, kann an einer Stadtführung durch Göttingens Keller und Gewölbe teilnehmen.

Wir bedanken uns bei Göttingen Tourismus & Marketing für den Zugang zu den Räumen.

Hier ist das Projekt als Scene VR einsehbar.

Raum 1:
Unter dem dämmrig ausgeleuchteten Kreuzgratgewölbe laden gedeckte Tische zu einem gemütlichen Abendessen bei Kerzenschein ein. Dieser Keller geht bis ins 13. Jahrhundert zurück und wurde vermutlich von den Schumachern erbaut. Jedoch war er bis Anfang der 1980er Jahre in Vergessenheit geraten und erst bei den Sanierungsarbeiten am Rathausvorplatz zufällig wiederentdeckt worden.
Da es die Kanalisation erst seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt, wurden in früherer Zeit Kloaken in ursprünglich nicht dafür erbauten Kellerräumen eingerichtet. Bei Ausgrabungen wurden auch Tongefäße gefunden, die als Unrat in die Kloake geworfen wurden. Stadtforscher konnten durch die Untersuchung des Kellerinhalts feststellen, wie sich das gemeine Volk ernährt hat und welche Gefäße genutzt wurden.

Raum 2:
Zunächst fällt der Blick auf die massiven, grauen Außenwände der Mikwe, die wuchtig aus dem Kellerboden hervorragen. Erst bei näherem Herantreten entfaltet sich das tiefe, innen verzierte Becken. Jüdische Ritualbäder oder auch Mikwen hat man seit dem 14. Jahrhundert aufgrund der Progrome vermehrt in Kellern gebaut. Seitdem hat die jüdische Bevölkerung Möglichkeiten gesucht, wie sie als Diaspora ihre Religiosität abgeschirmt von der Öffentlichkeit ausleben kann.
Die in Göttingen erhaltene Mikwe ist eine von wenigen, die sich in Südniedersachsen erhalten haben. Sie wurde im 19. Jahrhundert ohne bauamtliche Genehmigung vermutlich durch die Löwensteins oder deren Vorfahren gebaut und daher nicht im Bauverzeichnis eingetragen. Niemand wusste von dieser Mikwe und unwissende deutsche Familien haben sie in den 1930er Jahren selbst als Badewanne genutzt, ohne zu wissen, dass es ein jüdisches Bad ist. So konnte das Ritualbad diese Zeit überleben. Erst 1999 wurde das Kellerbad als Mikwe identifiziert.

Raum 3:
In der Roten Straße findet sich hinter der durch viele Stilepochen beeinflussten Fassade das älteste Haus Göttingens, das Holbornsche Haus. Es wurde 1266 errichtet, der darunter liegende Gewölbekeller ist jedoch noch älter. Steigt man die schmale Treppe in den Keller hinab, eröffnen sich mehrere, zusammenhängende Kellergewölbe, die viele Jahrhunderte überdauert haben. Durch ihre außergewöhnliche Architektur erzählen sie ihre Geschichte und bieten einen seltenen Einblick in die Bauweise und Lebensart der Vergangenheit. An den Außenwänden befinden sich alte Zugänge, durch die heute kein Ausgang mehr möglich ist, da die Stadt früher 1,2–1,5 Meter tiefer lag. Der Keller verfügt über ein Kreuzgratgewölbe, das sich aufgrund seiner komplizierten Bauweise nur wohlhabende Einwohner*innen leisten konnten.
Die romanische Säule in einem der Räume ist eine Spolie, ein wiederverwendetes Bauteil, die aus statischen Gründen um das Gewölbe zu stützen umgedreht eingebaut wurde. Heute wird das Haus mit seinem Gewölbekeller für Tagungen genutzt und beherbergt die Stadtarchäologie.

Raum 4:
Spinnenweben schimmern im Kegel der wenigen Lichtquellen. Müll liegt unter den vier an der Decke liegenden Öffnungen. Der düstere Raum wird heute dennoch häufiger betreten als zu seiner Nutzungszeit im Mittelalter. Bevor er in Vergessenheit geriet, konnte er aufgrund seines ursprünglichen Zwecks überhaupt nicht betreten werden – zumindest nicht durch eine Tür.
Bis Göttingen im Jahr 1529 protestantisch wurde, diente der Keller den knapp 80 Mönchen des damaligen Franziskanerklosters als Kloake. Auf einen Zugang wurde verzichtet, da der Raum nicht darauf ausgelegt war, jemals betreten zu werden. Im Gegensatz zu anderen Kellerräumen, die damals für die Toilettennutzung zweckentfremdet wurden, wurde dieser explizit als Kloake erbaut. In den 1970er Jahren wurde der Keller freigelegt und erhielt einen Treppenzugang, um ihn vorübergehend als Kohlekeller nutzen zu können. Heute wird er nur noch bei Stadtführungen betreten.

Raum 5:
Hinter einer unscheinbaren Tür im 1742 erbauten Lichtenberghaus führt eine Treppe die Besucher*innen in einen Gewölbekeller. Der Physiker Georg Christoph Lichtenberg wohnte und unterrichtete hier bis 1799. Die Kellerräume sollen Schauplatz von seinen physikalischen Experimenten gewesen sein.
Auch heute findet in den Räumen ein reges Treiben statt. Sie werden vom Verein Künstlerhaus und Galerie e.V. für Ausstellungen und Kunstkurse mit Kindern genutzt. Zahlreiche Bilder und gebastelte Kunstwerke verleihen den Kellerräumen einen bunten Anstrich. Es entsteht eine Atmosphäre, die durch die aktive Arbeit mit Kindern gekennzeichnet ist. Bei einem Besuch sollten die Gewölbedecken unbedingt Beachtung finden; hier sind Kreuzgrat- und Tonnengewölbe einander direkt gegenüber zu betrachten.

Raum 6:
Licht fällt durch ein winziges, vergittertes Fenster auf die eingravierten Namen der ehemaligen Insassen. Während ihres unfreiwilligen Aufenthalts haben sie sich an den Wänden des Gewölbekellers verewigt. Heute werden ihre Schicksale und Geschichten gern bei Stadtführungen erzählt. Beispielsweise belegt eine Einritzung Hans Hackens Gefangenschaft in der Zelle, der für das Verrichten seiner Notdurft im Reinsgraben eine Haftstrafe verbüßen musste.
Dieser oberirdisch gelegene Zwischenraum ist streng genommen kein Keller. Neben unterschiedlichen Nutzungsarten zählte er zwischen 1580 und 1620 zu den „gehobeneren“ Gefängnissen Göttingens. Zudem erstreckt sich über den Einritzungen der damaligen Gefangenen ein enger Raum, in dem bis ins Jahr 1405 Basaltsteine für die Beheizung des darüber liegenden Ratszimmers mithilfe eines Feuers erwärmt wurden. Der später als Gefängniszelle genutzte Raum war zuvor der Arbeitsraum des Heizers.