Als sie ihn erkennt, fängt ihr Herz schnell an zu schlagen. „Auf den Bildern sah er irgendwie anders aus“ denkt sie sich und läuft dann auf ihn zu. Sie begrüßt ihn mit einer kurzen Umarmung. Nach ein paar Sekunden unangenehmer Stille, in der man das Gefühl hat sein Gegenüber erstmal unter die Lupe zu nehmen, steigen die beiden in ein Gespräch ein. Zögerlich betreten sie die Bar, in der sie sich für den heutigen Abend verabredet haben. „Vielleicht ist er enttäuscht von mir, also meinem Aussehen. Bin ich vielleicht sogar ein Catfish? Oder ich bin nicht lustig genug, wir hatten vorher ja nicht viel geschrieben.“, überlegt Chiara zweifelnd. Sie ist schon seit fast 10 Jahren auf Dating-Apps unterwegs und nutzt diese laut eigener Aussage eher, um sich Bestätigung von Männern einzuholen statt zum eigentlichen Daten.

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Erster Kontakt auf einer Dating-App Foto: Sophia Koch

Tinder, Bumble und Co. erfreuen sich heutzutage einer großen Beliebtheit. Auf Dating-Apps wie diesen hat man die Möglichkeit ein Profil von sich zu erstellen mit Fotos, sowie kurzen Beschreibungen über seine Interessen. Mit diesem Profil kann man anderen Personen ein Like schenken und damit deutlich machen, dass man die Person gerne kennenlernen möchte. Wenn die andere Person einem dann auch ein Like gibt, können beide Parteien durch Textnachrichten miteinander in Kontakt treten. Ob Hook-ups, situationship oder eine feste Beziehung, die Apps scheinen unzählige Möglichkeiten des Datings zu bieten. Miriam bringt es auf den Punkt: „Ich nutze die Apps, um Erfahrungen zu machen, Leute auszuchecken und Spaß zu haben, also ich bin auf keinen Fall auf der Suche nach einer festen Beziehung.“ Was einst als Tabu galt, ist heute weitgehend akzeptiert, denn durch den Wechsel in die digitale Welt wird Dating transparenter.

Swipe rechts = ich möchte dich kennenlernen

„Ich würde jetzt nach links swipen. Das bedeutet, dass ich nicht interesssiert bin, ich möchte kein Match mit dieser Person.“ Julia sitzt in ihrem Zimmer und swipet auf Bumble vor sich hin. Auf ihrem Bildschirm erscheint nach jedem Swipe ein neuer potentieller Date-Partner. Sie sucht nach jemandem, der ihrem Typ entspricht. Nach rechts wischen, also der Person ein Like geben würde sie, „wenn die Person diesen Kriterien entspricht, aber es kann auch sein, dass eine Person mich trotzdem überzeugt, obwohl sie nicht genauso aussieht. Also die Person mir trotzdem sympathisch rüberkommt von den Bildern her oder auch von der Beschreibung.“ Sie fügt allerdings hinzu: „Es kommt nicht oft zu Matches, ich swipe oft nach links“.

Foto: Sophia Koch

In der heutigen Zeit, die zunehmend von virtuellen Realitäten geprägt ist, ist es wenig überraschend, dass Online-Dating besonders bei jungen Menschen einen hohen Stellenwert genießt. Laut einer Umfrage von 2023 haben bereits 77 Prozent der 16- bis 29-Jährigen Erfahrungen mit Dating-Apps gemacht (Quelle: Bitkom). Das Kennenlernen von Menschen und das Einladen zu Dates erscheint auf den ersten Blick einfach zugänglich und bietet insbesondere schüchternen Personen oder solchen, die im Alltag selten potenzielle Partner*innen treffen, eine Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Besonders im queeren Dating-Bereich ist es eine gute Möglichkeit, Menschen mit ähnlichen Interessen kennenzulernen und sich nicht erklären zu müssen. Paula, eine queere Frau, erklärt: „Ich mag es, dass von beiden Seiten die Intentionen klar sind, dass es um eine romantische Beziehung geht, da es vor allem im queeren Dating schwierig ist einzuschätzen, wann etwas nur platonisch ist und wann es auch mehr ist.“ Doch trotz der positiven Seiten sieht sie auch Schwachstellen im Konzept des Online-Kennenlernens: „Es ist komplett aufs Aussehen reduziert, man kennt die Persönlichkeit gar nicht“. Außerdem stecke man laut ihr viel Energie in etwas, von dem man nicht weiß, ob es auf etwas hinausläuft.

Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern?

Auch Nico, der 26-jährige Physik-Student, sucht auf Bumble nach einem Match: „Ich bin auf der Suche nach etwas Längerem, hab aber nicht die Erwartung, dass ich das über so ne App finde.“ Ein paar Dates hatte er bereits. „Es war meistens sehr awkward.“, berichtet er. Zum ersten Aufeinandertreffen sagt er: „ Es ist jedes Mal eine ganz schöne Überraschung wie die Stimme klingt und wie das Auftreten der Person ist.“ Auf die Frage, ob er schon mal enttäuscht war antwortet er: „Ja klar, das ist eigentlich ständig passiert, weil man sich natürlich ausmalt, dass die Person gut zu einem passt und die Chemie zwischen uns stimmt, das war eigentlich immer der Fall, dass das nicht so war. Außerdem Bilder lügen viel: Alles, was man nicht sieht, malt man sich besser aus als es ist.“ Zudem sieht er ein gravierendes Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen auf Dating-Apps. Laut ihm seien auf diesen mehr Männer als Frauen aktiv, weshalb Frauen auch mehr Likes bekämen und im Umkehrschluss eine Riesenauswahl hätten. Männer hingegen bekämen deutlich weniger Likes, was laut ihm oft an deren Selbstwert nage

Neben Nico berichten viele Nutzer*innen von Online-Dating Plattformen ähnliche Erfahrungen. Sie finden es oft herausfordernd, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt werden und dass ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigt werde. Die Fülle an Auswahlmöglichkeiten und ständige Vergleiche mit anderen Profilen können dazu führen, dass sich Nutzer*innen unzureichend oder unattraktiv fühlen, insbesondere wenn sie weniger Aufmerksamkeit erhalten als andere. Es ist eine Schwierigkeit zwischen den scheinbar endlosen Optionen diejenigen zu finden, die wirklich zu einem passen. Das Gefühl, ständig im Wettbewerb zu stehen und nicht gut genug zu sein, kann zu Frustration und Selbstzweifeln führen.

Foto: Sophia Koch

Ist Online-Dating also doch nicht die ideale Lösung, um unverbindlich neue Menschen kennenzulernen? Diese Frage drängt sich auf, wenn man die Oberflächlichkeit vieler Dating-Apps betrachtet. „Ich würde mich gern rausreden und sagen ich swipe auch bei sympathischen Typen, aber mir ist aufgefallen, dass das wirklich Quatsch ist“, gibt Chiara zu. Beim endlosen Hin und Her zwischen verschiedenen Profilen vergisst man leicht, dass hinter jedem Profil ein individueller Mensch steht, der eine Vielzahl von Facetten besitzt, die sich nicht allein durch ein Dating-Profil erfassen lässt. Während diese Apps zweifellos dazu beitragen, den ersten Kontakt zwischen zwei Personen herzustellen, sind sie auch von einer beispiellosen Schnelllebigkeit geprägt. „Diese Schnelllebigkeit überträgt sich oft auf das echte Leben“, erläutert Chiara, „Man verlässt sich auf die Apps und den Gedanken, dass, wenn es mit einer Person nicht klappt, es sicherlich mit der nächsten besser läuft.“ Es wirkt beinahe so, als ob viele Menschen zögern, sich auf tiefgehende und langfristige Bindungen einzulassen. Stattdessen neigen sie dazu, andere Menschen genauso schnell aus ihrem Leben zu verbannen, wie sie auf ihrem Bildschirm nach links oder rechts wischen.

Keinerlei Verbindlichkeit

Julia sitzt immer noch in ihrem Zimmer und schreibt mittlerweile mit einem ihrer Matches. „Wenn man mal ein Match hat, schreibt man ewig hin und her, man schreibt über belanglose Dinge und kriegt es nicht organisiert sich zu treffen.“ Sie ist sich sicher, dass es auf den Apps an Verbindlichkeit fehlt: „Dadurch, dass man die Person noch gar nicht kennt und auch nicht im realen Leben hat man irgendwie nicht das Gefühl, dass man, wenn man einmal angefangen hat zu schreiben, verpflichtet ist schnell zu antworten. Man ist schnell dazu verleitet, die Person einfach zu ghosten, wenn man keine Lust mehr hat.“

Thanners: Kneipe und beliebter Date-Hotspot in Göttingen Foto: Sophia Koch

Als hinter Chiara nun die Tür der Bar zufällt und sie sich nach einer unsicheren Verabschiedung von ihrem Date auf den Heimweg begibt, gehen ihr viele Fragen durch den Kopf: „Hat er jetzt erwartet, dass ich ihn noch mit zu mir nehme? Oder wollte er selbst schnell nach Hause, weil er mich langweilig fand? Hätte ich ihn selbst gerne noch zu mir eingeladen? Warum mach ich die Scheiße überhaupt?“ Während ihr die kalte Abendluft ins Gesicht weht, reflektiert sie nicht nur das gerade Geschehene sondern auch ihre allgemeine Beziehung zum Thema Online-Dating: „Es kann einen beflügeln, aber hat auch extreme Macht einen runterzuziehen. Zum Beispiel, wenn Leute einem nicht mehr schreiben, die man vielleicht doch ein bisschen interessanter fand.“ Während sie darüber sinniert, spürt sie, wie in ihrer Jackentasche ihr Handy vibriert. Sie zieht es hastig aus der Tasche und Ja! Genau wie sie gehofft hatte: eine Nachricht von ihrem Date. „Es war echt schön heute mit dir, von mir aus hätte es sogar noch länger gehen können. Wann sehen wir uns wieder?:)“