Ich sitze wenige Minuten vor dem geplanten Interviewbeginn vor meinem aufgeklappten Laptop, starte das Zoom Meeting und warte leicht angespannt auf Bild und Ton meines Gegenübers. Nach kurzer Zeit erscheint eine strahlende junge Frau mit dunkelbraunem Haar auf dem Bildschirm. Sie wirkt etwas schüchtern und begrüßt mich mit ihrer sanften Stimme und ihrem russischen Akzent, den man deutlich heraushören kann. Ich spreche hier von der 22-jährigen Polina Gordienko, auf die ich via Instagram vor einigen Monaten aufmerksam wurde. Sie lebt in München und ist dort kommunalpolitisch aktiv und macht immer wieder auf die unerträgliche Situation in Belarus aufmerksam, dazu später mehr. Am beeindruckendsten ist jedoch der Lebensweg, den Polina bis jetzt gegangen ist.

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https://www.instagram.com/polinagordienko/

Frühe Kindheit

Sie wird am 11.04.1999 in einer Stadt am Bakailsee im sibirischen Russland geboren. Die Familie zieht kurze Zeit später nach Minsk um. Polinas Tante lebte zu diesem Zeitpunkt dort. Polina war in der Schule ein ruhiges Mädchen und sehr fleißig. Sie schrieb stets gute Noten. Doch als es um den Beitritt in die regimetreue Jugendorganisation geht, verweigert sie sich. Aufgrund von Polinas guter schulischer Leistungen hatte diese Aktion keine weiteren Konsequenzen, sorgte aber für einen kleinen Eklat.

Wenn es nach dem Vater ginge, wäre Polina heute eine professionelle Tennisspielerin. Mit vier Jahren begann sie Tennis zu spielen. Polina mochte das Tennisspiel zwar lange Jahre und gehörte auch zu den besten ihres Alters. Dennoch wollte sie lieber einen Schulabschluss machen, anstatt eine Tenniskarriere anzustreben.

Das erste Mal München

Mit zwölf Jahren fährt Polina mit ihrer Familie zum Urlaub machen und Tennis spielen nach München. Sie ist begeistert von der Stadt und den Menschen. Der freiheitliche Lebensstil beeindruckt sie nachhaltig. Aus Belarus kennt sie so etwas nicht. „In Belarus schwebt die Angst in der Luft“, erklärt Polina mir. Von jetzt an reist sie jedes halbe Jahr nach München und besucht ihre Tante, die dort inzwischen lebt. Mit 14 Jahren reist Polina ein weiteres Mal nach München. Sie hat in der Zwischenzeit Deutsch und Französisch gelernt. Polina schafft es ihre Eltern zu überzeugen einen „Ausflug“ zum Internat Max-Josef-Stift zu machen, dem einzigen Internat in München. Sie bekommt tatsächlich einen Termin bei der Schuldirektorin und wird angenommen. Polinas Eltern sind alles andere als begeistert und versuchen ihre Tochter von ihrem Vorhaben abzubringen. Doch Polina lässt nicht locker. Sie bemüht sich um ein Visum und erhält dieses auch nach einer langen Zitterpartie.

Ein Traum wird wahr

Im September 2014 geht sie auf das Münchner Internat. Während der ganzen Zeit wurde Polina von ihrer Tante unterstützt, wofür sie sehr dankbar ist. Es stellt sich bei unserem Gespräch heraus, dass Polina keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern hat, die heute wieder in Russland leben. Ich merke, dass ich bei ihr einen wunden Punkt getroffen habe und stelle keine weiteren Nachfragen. Sie lässt sich nichts anmerken und lächelt mich weiter an, dieses Lächeln wirkt allerdings aufgesetzt.

SPD-Eintritt

Polina beginnt sich mit der Zeit intensiv für Politik zu interessieren. Besonders die Arbeiterbewegungen des 19. Jahrhunderts findet sie im Schulunterricht hochspannend. Es ist aus ihrer Sicht nicht selbstverständlich in einer Demokratie zu leben. Sie ist in diesem Aspekt sehr stark durch die Erfahrungen in Belarus geprägt. Polina wollte im Jahr 2016 am Planspiel „Jugend im Parlament“ teilnehmen. Hierfür war allerdings der Vorschlag eines Bundestagsabgeordneten notwendig. Polina schrieb daraufhin Abgeordnete aus ihrem Wahlkreis an. Claudia Tausend von der Münchner SPD willigte sofort ein. Nach dem Planspiel tritt Polina im Jahr 2017 der SPD bei. Mittlerweile engagiert sich Polina sehr stark auf kommunalpolitischer Ebene und ist das jüngste Bezirksausschussmitglied in München. Zudem ist sie stellvertretende Bezirksausschussvorsitzende. Kommunalpolitik ist Polinas große Leidenschaft, das merke ich im Gespräch mit ihr sehr schnell. Ihr gefällt daran, dass man den Bürger*innen unmittelbar helfen kann und sichtbare Veränderungen schafft. Allerdings ist es sehr zeitaufwendig und teilweise ein ständiger Kampf mit der Stadtverwaltung, erklärt Polina. Dank der Online-Lehre war das Studium mit der politischen Tätigkeit gut vereinbar.

Abitur mit Bestnote

Im Jahr 2018 beendet sie ihre Schullaufbahn mit dem Abitur und der Note 1,0. Als ich sie darauf anspreche, wirkt es fast so, als sei ihr das Ganze unangenehm, was zu ihrem schüchternen Auftreten insgesamt passt. Polina beginnt nach dem Abitur Philosophie mit Geschichte und Volkswirtschaftslehre an der LMU München zu studieren. Die Fächer Philosophie und Geschichte hat sie im Frühjahr bereits vorzeitig abgeschlossen. Im Sommer schließt sie auch noch VWL ab. Polina möchte anschließend eine akademische Karriere im Bereich Philosophie machen. Als ich danach frage, ob sie sich auch eine politische Karriere vorstellen könnte, muss sie kurz schmunzeln. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, erklärt sie.    

Die Situation in Belarus

Polina macht in den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Instagram, auf die schwierige Lage der Menschen in Belarus aufmerksam. Ich frage sie, warum es ihr so wichtig ist, in Deutschland hierauf aufmerksam zu machen. Polina antwortet schnell und vehement: „Für die Menschen in Belarus war es jahrzehntelang selbstverständlich, dass ihr Land keiner kennt.“ Viele Menschen dachten, dass Belarus eine Region in Russland ist. Den Menschen in Belarus gibt es sehr viel Halt, wenn wir informiert bleiben und genau hinschauen.“ Aktuell gibt es in Belarus keine Massenproteste mehr. Die drohenden harten Repressalien haben viele Menschen abgeschreckt. Allerdings werden jetzt kleinere Demos in Wohnvierteln organisiert. Polina macht deutlich, dass jetzt harte Wirtschaftssanktionen von besonderer Bedeutung sind und der Diktator Lukaschenko endlich in die Knie gezwungen werden muss.

Timeline: Polina Gordienkos Leben in Kurzform

Nach dem Interview

Das Interview mit Polina habe ich Mitte Juni an einem sehr heißen Sommertag geführt. Für mich ging es danach erstmal ins Freibad. Polina hatte noch einige Online-Konferenzen vor sich, da war es schon später Nachmittag….