„Man kann die Studierendenschaft ganz grob in zwei Gruppen einteilen. Der eine Teil kommt mit der Online-Variante sehr gut zurecht, weil er sagt, ich kann mir das so einteilen, wie ich möchte. Der andere Teil ist mit der Eigenorganisation überfordert und hätte lieber eine regelmäßige Tagesstruktur“, erläutert Anna Zipp, die Studienberaterin und -koordinatorin der Bachelorstudiengänge Biologie und Biodiversität. Dabei schaut sie in ihre neue Kamera, die erst zwei Wochen alt ist. Anna Zipp lacht viel, selbst, als sie über negative Dinge spricht. „Ich habe nicht mehr so einen guten Draht zu den Studierenden, sonst habe ich mitbekommen, was sie beschäftigt, welche Lehrveranstaltungen gar nicht gut gelaufen sind und ob es sonst irgendwelche Probleme gibt“, schildert sie. Das Problem: ohne Feedback von den Studierenden kann sie nicht handeln und muss annehmen, dass alles gut läuft.

Dabei ist die Schwelle, ein Beratungsangebot wahrzunehmen, deutlich niedriger als vor Corona-Zeiten. Mit einem Klick werden ratsuchende Studierende über die Website der Fakultät für Biologie und Psychologie in einen BigBlueButton-Warteraum weitergeleitet. Bei BigBlueButton handelt es sich um einen von der Universität Göttingen genutzen Webkonferenzdienst. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Termine per E-Mail zu vereinbaren. Trotzdem seien die Anfragen weniger geworden und die Gespräche reduziert auf die Anliegen der Studierenden.

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Anna Zipp an ihrem Arbeitsplatz.

Bild: private Aufnahme

Im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern muss Anna Zipp nicht ins Homeoffice, da sie ein Einzelbüro hat. Sie nutzt es gerne, da sie dort besser arbeiten kann. Hinter ihr auf dem Bildschirm ist ihr Arbeitsplatz zu sehen: Ein weißer, spärlich eingerichteter Raum. Einen Kontrast dazu bildet die Erscheinung Anna Zipps. Durch ein türkis gemustertes Oberteil und einen bunten Schal bringt sie Fröhlichkeit und Hoffnung in diesen leeren Raum. Wenn sie lacht, wird für einen Sekundenbruchteil wieder die Studentin sichtbar, die sie selbst vor zehn Jahren gewesen ist. „Ich habe an meine Studienzeit eine sehr gute Erinnerung und weiß nicht, ob die so gut wäre, wenn ich in der aktuellen Situation studieren müsste“, verrät sie.

Altbekannte Probleme mit neuen Schwerpunkten

Trotz der derzeitigen Ausnahmesituation hätten sich die Probleme, mit denen die Studierenden zu ihr kommen, nicht geändert. Stattdessen hätten sich die Themenschwerpunkte verschoben. „Es kamen mehr Leute zu mir, die sagen: ‚Boah, das ist mir gerade irgendwie zu viel‘. Aber ob das daran liegt, dass mehr Studierende an der Belastungsgrenze sind, oder ob sich die Leute einfach mehr damit an mich wenden, kann ich nicht sagen“, berichtet Anna Zipp. Eine unverschuldete Verlängerung des Studiums wird stets versucht zu vermeiden. Es gebe auch keine Zunahme an Anfragen, die einen Wechsel des Studiengangs betreffen. „Es kann durchaus sein, dass es mehr Studierende mit diesen Gedanken gibt, die sich nur nicht bei mir melden“, räumt sie ein.

Die Studienberatung funktioniere digital ähnlich gut wie in Präsenz. Das bestätigt auch Hannah, die im 5. Semester Biologie studiert. „Ich habe mich sehr gut beraten gefühlt. Frau Zipp hat mir, wegen meines eigentlich nach der Bachelorarbeit geplanten Auslandsaufenthaltes, sehr viele Möglichkeiten aufgezeigt und versucht, mit mir zusammen eine Lösung zu finden,“ erzählt sie. Trotz der Pandemie gebe es weiterhin viele Bewerbungen für Auslandsaufenthalte. Die Studienberaterin gibt zu: „Da sich die Situation jederzeit wieder ändern kann, ist es gar nicht so einfach, diesbezüglich zu beraten.“ Wenn das Zielland zum Risikogebiet werde, wird das Stipendium für den Aufenthalt spontan entzogen, so die aktuelle Regelung. Anna Zipp und ihre Kollegen drücken die Daumen, dass sich das ändert.

Keiner weiß, wie es nächstes Jahr ist

Das Studienbüro der Fakultät für Biologie und Psychologie liegt direkt an der grünen Lunge der Stadt: Dem alten botanischen Garten. Wer in diesen Tagen daran vorbei geht, sieht ein ruhiges Gebäude. Doch hinter den Kulissen spielt sich viel ab. Neben der Beratung von Studierenden sind Anna Zipp und ihre Kolleg*innen noch vor eine andere Herausforderung gestellt: die Planung des nächsten Sommersemesters. Normalerweise wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo sie allen Dozenten und Praktikumsverantwortlichen eine E-Mail schreibt, in der sie nach den Eckdaten fragt. „Noch scheue ich mich ein bisschen davor, diese Abfrage zu starten, weil ich vermute, dass die Lehrenden nicht besonders erfreut darüber sein werden, weil keiner weiß, wie es im nächsten Semester wirklich wird“, gesteht sie. Die Dozierenden seien mittlerweile sehr genervt von den sich ständig wechselnden Vorgaben, die die Planung besonders schwierig gestalten.

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Hinter der ruhigen Fassade des Studienbüros passiert Einiges.

Bild: Florian Wörner

Anna Zipp geht damit inzwischen gelassener um, doch das war nicht immer so. Als das Coronavirus nach Deutschland kam, wurde es erstmal still im Studienbüro. Alle Mitarbeiter*innen mussten ins Homeoffice und hatten nur ihre privaten Laptops zum Arbeiten. Da unklar war, wie es weitergeht, konnte erstmal nichts geplant werden und daraus besteht Anna Zipps Job. Zum Start des Sommersemesters 2020 mussten dann auf einmal viele Entscheidungen her. Wie stellt man das Biologie-Studium, das durch seine Inhalte so stark durch Präsenz geprägt wird, spontan auf digital um? Die Planung ist durch die sich ständig wechselnden Vorgaben der Universität zusätzlich erschwert worden, oft musste sie eine Woche später wieder alles umschmeißen. Die Studienberaterin erinnert sich: „Es war vor allem anstrengend, nicht zu vergessen, dass man die Studierenden immer mit informieren musste“. Trotz der unklaren Situation stellte sie ein Dokument zur Verfügung, in dem die Studierenden einsehen konnten, was bisher für welchen Kurs geplant war.

Soviel Normal wie möglich

Dabei wird stets versucht, so viel in Präsenz anzubieten wie möglich, denn das Studium der Biologie lebe von den praktischen Inhalten. „Alle sind sich einig, dass ein komplett digitales Praktikum nicht die Kompetenzen eines Präsenzpraktikums vermitteln kann“, fast Anna Zipp zusammen. Die Lösung sind Hybrid-Praktika, also dass die Praktika reduziert in Präsenz stattfinden und teilweise digital. Die Umsetzung sei nicht einfach, denn bei der Planung von Praktika während Corona muss viel beachtet werden. Das gleiche gelte für Abschlussarbeiten, manchmal fänden diese momentan als Literaturarbeiten statt, was für das Studienfach unüblich ist. Es sei wahrscheinlich, dass Studierende, die in Zeiten der Pandemie eingeschränkte Praktika durchführen weniger Kenntnisse im praktischen Bereich des jeweiligen Moduls hätten als Studierende, die das Praktikum regulär absolviert haben. Anna Zipp findet: „Das kann nicht zum Dauerzustand werden. Wenn man das ein bis zwei Semester macht, ist das halt nicht so cool, aber wenn das drei Jahre so bleibt, kann es sein, dass man sein ganzes Bachelorstudium nicht im Labor gestanden hat“.

Für einige Fachbereiche sei es besonders gut möglich, Alternativen zu den Praktika zu schaffen. Ein Beispiel ist die Pflanzensystematik. Die Studierenden hatten die Anweisung bekommen, eine bestimmte Strecke lang zu laufen, mit Erklärungen, was links und rechts wächst. In solchen Möglichkeiten sieht Anna Zipp auch Zukunft. „Ich glaube, dass es bei einer solchen Veranstaltung viel interessanter ist, selbst in Ruhe schauen zu können, als wenn man mit 20 Leuten oder mehr durch die Botanik läuft und einer vorne ist, der etwas zeigt oder erzählt und man gar nicht sehen kann was“, meint sie. Ihr größter Wunsch ist dennoch, dass die Präsenz-Lehre so lange wie möglich erhalten bleibt. Da steckt noch mehr dahinter. Denn wenn deutlich werde, dass die digitale Lehre gut laufe, könnten die Ministerien den Universitäten die Gelder für die Präsenz-Lehre entziehen. Wenn es genüge, ein Video hochzuladen, dass die nächsten vier Jahre abrufbar ist, ist das deutlich billiger.

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Im Botanik-Praktikum hat jeder Studierende seine eigene Plexiglas-Box.

Bild: private Aufnahme

Wenn sie von ihrer Arbeit spricht, beginnen ihre Augen hinter der Brille zu leuchten. Sie sieht es als eine Herausforderung, in dieser Situation dafür zu sorgen, das alles läuft. Vor allem den Erstsemestern fehlt der Austausch zu Kommilitonen, weshalb die Studienberatung eine zentrale Rolle spielt. Einige Studierenden seien unsicher, ob sie den kompletten Stundenplan des ersten Semesters belegen müssen, weil sie überfordert seien. „Für solche Sachen hilft es, sich mit Kommilitonen auszutauschen und zu merken, ich bin mit den Fragen und Problemen nicht allein“, stellt Anna Zipp fest. Deshalb sei es dem Studienbüro besonders wichtig gewesen, das im ersten Semester pflichtmäßige Botanik-Praktikum in Präsenz anzubieten. Fabienne, eine Studentin des ersten Semesters Biologie bekennt: „Ich habe das Gefühl, dass ich aufmerksamer bin und mehr aus dem Praktikum mitnehme, weil man im Kurs eine sehr motivierte Arbeitsstimmung hat. Alle passen auf und wollen, dass das weiterhin auf diese Art und Weise stattfinden kann.“

Bald werden Fabienne, Hannah und ihre Kommilitonen die Informationsveranstaltung für das nächste Semester besuchen. Hannah wird sich so über die Fachvertiefung, die der Bachelorarbeit vorausgeht, informieren. Anna Zipp freut sich auf diese Online-Termine, denn dort hat sie die Möglichkeit, eine große Gruppe zu erreichen. Obwohl sie sich hin und wieder mit Vertretern der Fachgruppe der Biologie über die aktuellen Anliegen der Studierenden austausche, ersetze dass nicht das Feedback, das sie vor Corona bekommen habe. Aus diesem Grund seien auch keine speziellen Veranstaltungen für Corona geplant. „Wenn sich viele Leute melden, die sich eine bestimmte Veranstaltung wünschen, dann würde ich auch schauen, wie das umsetzbar ist“, versichert die Studienberaterin. Doch ohne das Feedback tappt sie im Dunkeln.