Das Katzenhaus Luttertal

Haustiere sind Lebensbegleiter, die eine enge Bindung mit ihren Besitzern und ihrem Umfeld formen. Doch was passiert eigentlich mit den Tieren, wenn sich die Menschen nicht mehr um sie kümmern können? Dafür gibt es, neben den großen Tierheimen, noch Einrichtungen wie das Katzenhaus Luttertal. Dort arbeiten vier engagierte Mitarbeiterinnen täglich auf ehrenamtlicher Basis und kümmern sich um aktuell 50 Katzen. Im Jahr 2016 ist das Katzenhaus zu einem Gnadenhof für alte und kranke Katzen umgewandelt worden und nimmt nach eigenen Angaben seither nur noch Notfälle auf. Das Katzenhaus ist Mitglied des „Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V.“ und mitbeteiligt an dem vierteljährlich erscheinenden Magazin „Das Recht der Tiere“.

An einem verregneten Montagnachmittag im Februar mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg, denn ich habe einen Termin bei Monika Bossmann, der Leiterin des Katzenhauses Luttertal. Vor der Fahrt habe ich noch (ziemlich vergeblich) versucht, meine Kleidung von den Hundehaaren meines Collies zu befreien, denn ich habe zugegebenermaßen vorab einen gewissen Respekt vor 50 Katzen in einem Haus. Da ich etwas zu früh dran bin nutze ich die Zeit, um mir die Umgebung genauer anzuschauen. In unmittelbarer Nähe des Hauses befindet sich die B27, eine mehrspurige belebte Bundesstraße, und obwohl noch keine Rush Hour ist, pressen sich die Automassen in beide Richtungen vorwiegend im Schleichtempo aneinander vorbei. Hinter dem Haus beginnt ein Naturschutzgebiet, welches nicht von Menschen betreten werden darf. Eigentlich ein guter Ort für streunende Katzen, denke ich mir.

Statt dem erwarteten Katzenmiauen höre ich Autos in der Nähe vorbeirauschen, während ich die Klingel betätige und vor dem massiven Eingangstor warte. Kurz darauf erspähe ich Frau Bossmann im Garten und sie öffnet mir das Tor. Nach einer schnellen, aber freundlichen Begrüßung ihrerseits und einer kleinen Vorstellung, was ich denn hier überhaupt vorhabe meinerseits, führt sie mich in den Keller des schnuckeligen alten Fachwerkhauses. Dort angekommen beginnt sie mir vom Projekt Gnadenhof zu erzählen und zeigt mir einige aktuelle Ausgaben von „Das Recht der Tiere“, an denen sie beteiligt war. Gut vorbereitet übergebe ich ihr eine Schachtel Merci-Schokolade, im Tausch erhalte ich die letzten 4 Ausgaben ihres Magazins zum Mitnehmen.

Das Magazin „Das Recht der Tiere“, herausgegeben vom „Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V.“ / Foto: Martin Markowski

Zu Beginn unterhalten wir uns über die aktuelle Pandemiesituation und sie erzählt mir, dass ihrer Empfindung nach mehr junge Kätzchen ausgesetzt werden als zuvor. Diese landen aber nur in den seltensten Fällen bei ihr, da ein Gnadenhof primär ältere oder pflegebedürftige Tiere aufnimmt. Viele der aufgenommenen Katzen landen glücklicherweise schnell in neuen Familien, so werden hier etwa 60 Katzen pro Jahr weitervermittelt. Als das Katzenhaus noch kein Gnadenhof war lebten hier teilweise bis zu 120 Katzen, aktuell sind es jedoch nur noch 50, die sich auf mehrere Bereiche verteilen.

In einem der Räume werden die gesunden Neuankömmlinge untergebracht, da Frau Bossmann den Tieren in der Anfangszeit so viel Stress wie möglich ersparen möchte, nachdem sie ihr gewohntes zuhause verlassen mussten. Sobald sie ihre zweite Impfung erhalten verlassen sie die Aufnahmestation wieder. Meist werden die Tiere schnell weitervermittelt, jedoch bleiben einige auch Dauergäste. Diese leben gemeinsam in einem großen Raum nebenan, der Anbindung an ein weitläufiges Freigehege hat. Sie öffnet die Tür und sofort versuchen zwei Katzen sich an unseren Beinen vorbei zu schleichen, jedoch lotst sie Frau Bossmann gekonnt wieder zurück mit einer vorsichtigen Bewegung ihres Schuhs. Drinnen bietet sich mir die größte Katzenansammlung, die ich bislang gesehen habe. Auf der Heizung, über meinem Kopf auf Podesten und über den halben Boden verteilt wuseln geschätzte 30 Katzen in allen Größen und Farben um mich herum. Ich atme vorsichtig ein und bin erstaunt über den neutralen Geruch, da hatte ich vorab schlimmere Befürchtungen. Auch der Boden ist fast wie geleckt, jedoch erfahre ich kurze Zeit später, dass sie dafür jeden Morgen putzen muss, da die Katzen nachts gerne überall Katzenstreu und Pfotenabdrücke verteilen.

Im Raum sind neben vielen Klettermöglichkeiten auch einige Körbchen und andere Liegeplätze verteilt, die fast alle von schnurrenden älteren Mietzen belegt sind. Die begehrtesten Plätze befinden sich allerdings zwischen Fensterbank und Heizung, hier liegt alles eng an eng und den halboffenen Augen nach zu urteilen herrscht auch pure Entspannung. Sobald eine Katze die Wellnessoase verlässt bleibt der Platz nicht lange unbesetzt. Insgesamt ist es sehr ruhig, man bekommt etwas von der Bundesstraße mit, jedoch geben die Katzen kaum Geräusche von sich.

Der begehrteste Platz im großen Katzenzimmer / Foto: Martin Markowski

Zuerst wagen sich nur ein paar neugierige Jungtiere in meine Nähe, kurze Zeit später holen sich aber einige Bewohner ihre Streicheleinheiten ab und ich vergesse meine Fragen für einen Moment. Ich fühle mich richtig wohl hier, obwohl ich eigentlich immer etwas Katzenscheu war. Nachdem die meisten Köpfchen gekrault sind unterhalten wir uns über das Leben von Frau Bossmann und der Geschichte des Katzenhauses. Sie erzählt mir im Detail, wie ihr Vater während ihrer Kindheit Hunde für die Polizei ausbildete und dabei eine sehr strenge Hand an den Tag legte. Da sie schon als Kind verspürte, dass dies nicht der richtige Umgang mit einem Lebewesen sei, widmete sie ihre Zeit und Energie schon früh pflegebedürftigen Tieren. Im Katzenhaus Luttertal hat sie seit 1993 die Leitung übernommen und wohnt dort mit aktuell sechs Pflegehunden aus Notfällen im oberen Teil des Hauses. Bei dem Haus handelt es sich um ein ehemaliges Forsthaus, welches heute dem Verein gehört.

Monika Bossmann und ihre vier Mitarbeiterinnen arbeiten auf Minijob-Basis. Der Gnadenhof finanziert sich ausschließlich durch Spenden, viele davon in Form von Tierpatenschaften. Dabei können Interessierte mit einem kleinen Beitrag die monatlichen Kosten für ein Tier übernehmen, ohne es direkt adoptieren zu müssen. Neben den Mitarbeiterinnen gibt es noch eine handvoll Katzenstreichler, die regelmäßig zu Besuch kommen und sich mit den Tieren beschäftigen.

In einem kleinen Nebenraum befinden sich die Jungtiere, da diese von den älteren Katzen oft malträtiert werden. Im großen Raum herrscht eine strikte Hierarchie und es kommt gelegentlich zu kleineren Konflikten, auch während ich da bin. Der Raum wurde eigentlich mal als Quarantänezone geschaffen, da sich in der Vergangenheit einige Tiere mit dem „feline Leukämie Virus“ (FeLV) infizierten, einer ansteckenden Form von Leukämie bei Katzen. „In anderen Tierheimen werden die Tiere in kleinen Käfigen dauerhaft isoliert, dass wollten wir den Tieren nicht antun!“, erzählt mir Frau Bossmann. So kam es zur Einführung des ersten Leukoseraumes in Göttingen und in der Vereinsgeschichte. Sie erhält auch immer wieder infizierte Katzen aus anderen Tierheimen, die in der Station unterkommen.

„In anderen Tierheimen werden die Katzen bei Leukose in kleinen Käfigen dauerhaft isoliert, dass wollten wir unseren Tieren nicht antun!“

-Monika Bossmann, Heimleiterin vom Katzenhaus Luttertal

Im Anschluss daran schaue ich mir noch das großzügige Freigehege an. Da es vor kurzem geregnet hat ist der Boden matschig und die Begeisterung der Bewohner hält sich dementsprechend in Grenzen. Einige wenige Abenteurer klettern lustlos herum und verteilen auf dem Rückweg ihre Pfotensignatur auf den sauberen Fliesen. Eine kleine schwarze Katze bringt einen abgebrochenen Ast mit hinein und begeistert schaue ich dem Tier beim Spielen zu. Es herrscht eine friedliche und lockere Atmosphäre, hätte ich bei so vielen Katzen anders erwartet.

Eine kreative Außenanlage bietet den Katzen Beschäftigung, bei dem Matsch ist das Interesse allerdings gemäßigt / Foto: Martin Markowski

Im oberen Teil des Hauses bellt ein Hund laut los und wir wechseln für einen Moment das Thema. Ich erfahre, dass sie sich privat um sechs Pflegehunde kümmert und schon vor dem Katzenhaus Hunde adoptiert und gepflegt hat. Einige ihrer Hunde tragen böse Narben von Kämpfen oder brutalen Haltern. Eine ältere und blinde Hündin kommt aus Russland und wurde dort in einer Kiste gehalten. Die anderen fünf stammen aus Frankreich und erlebten dort im Tierheim viel Gewalt und wenig Zuneigung.

In Einrichtungen wie dem Katzenhaus bekommen Tiere eine Chance auf ein würdevolles Restleben. Die Stadt fördert dieses und ähnliche Projekte leider nicht, da es bereits ein Tierheim gibt. Viele der Katzen benötigen besondere Pflege und so ist Frau Bossmann mehrmals die Woche beim Tierarzt. Zwei Tiere waren mit dem Schwanz in einem gekippten Fenster eingeklemmt, wobei es schnell zu Schäden and der Wirbelsäule, dem Schwanz, der Blase, dem Darm oder sogar zur Querschnittslähmung kommen kann. Diese beiden hatten Glück im Unglück und so nur einen hängenden Schwanz davongetragen. Bei beiden wurde mit kostenintensiven Behandlungsmethoden, wie z.B. Reizstrom oder Akkupunktur, leider erfolglos versucht, die Funktion des Schwanzes widerherzustellen. Auch eine halbgelähmte Katze wohnte mal eine Zeit lang hier, diese wurde jedoch von einem Ehepaar adoptiert, dass bis heute noch in Kontakt mit Frau Bossmann steht.

Mich interessiert, ob sie sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt hat, die Tiere wieder abzugeben. „Jedes Mal, wenn ich ein Tier, dass ich mit der Flasche aufgezogen habe, zu seinem neuen zuhause bringe, weine ich auf dem Rückweg, das hört nie auf.“, antwortet sie mir darauf. Auch die immer mal wieder vorkommenden Einschläferungen von alten oder kranken Tieren machen sie jedes Mal traurig, was ich nachvollziehen kann. Sie scheint eine tiefe Bindung zu ihren Tieren zu haben und schenkt ihnen fast all ihre Zeit. Diese Hingabe finde ich bemerkenswert und ihr ruhiger und freundlicher Umgang mit den Katzen ist angenehm zu beobachten.

„Jedes Mal, wenn ich ein Tier, dass ich mit der Flasche aufgezogen habe, zu seinem neuen zuhause bringe, weine ich auf dem Rückweg, dass hört nie auf.“

Monika Bossmann

Keine der Katzen verlässt das Grundstück um die Umgebung zu erkunden, da in der Vergangenheit viele auf der naheliegenden Schnellstraße überfahren worden sind. Die Umgebung wäre sonst mehr als geeignet, aufgrund des anliegenden Naturschutzgebietes, weitläufiger Felder und Waldflächen.

Zum Ende unseres Gespräches möchte ich noch einmal auf das Thema Pandemie zu sprechen kommen. Vorher gab es zwei Mal in der Woche offene Besuchertage, an denen Interessierte die Katzen vor Ort ansehen und adoptieren konnten. Da es teilweise zu großen Ansammlungen kam vergibt das Katzenhaus jetzt Einzeltermine, jedoch ist das Interesse an der Adoption in etwa gleichgeblieben. Man kann sich vorab auf der Internetseite die Tiere anschauen und sich dann per Mail melden, um einen Termin zu vereinbaren. Einige der ganz alten Tiere landen auch immer wieder in Studierenden-WGs und dürfen dort ihre letzten Jahre in Geborgenheit verbringen. Das sich junge Leute bereit erklären alte Katzen aufzunehmen findet Frau Bossmann übrigens sehr gut. Sie würde am liebsten jedem Tier ein zuhause vermitteln.

Eine kleine schwarze Katze kommt während unseres Gesprächs immer wieder in meine Nähe und lässt sich von mir streicheln. Ich erfahre, dass die Katze aus einer neunköpfigen Familie stammt, die in einer Dreizimmer-Wohnung lebt. Sie sollte als Ablenkung oder Spielzeug für die drei kleinen Kinder dienen und wehrte sich mit Krallen. Daraufhin brachte man sie zum Katzenhaus und erwartete im Gegenzug eine ruhigere Katze. Natürlich wurde die Familie mit leeren Händen nach Hause geschickt.

Gegenseitiges Kennenlernen und Antasten / Foto: Martin Markowski

Auf dem Weg nach draußen fallen mir ganze Fotowände auf, wo alle Katzen mit Namen abgebildet sind. Es kommt mir jetzt schon viel vor, wie muss es erst früher gewesen sein? Vor dem Verlassen der Haustür treffe ich noch kurz Andrea, sie ist seit letztem Jahr ehrenamtlich im Katzenhaus tätig. Ich verstaue meine Magazine, bedanke mich ein letztes Mal bei Frau Bossmann für ihre Zeit und Antworten und mache mich wieder auf den Rückweg.

Die ersten Meter schiebe ich mein Fahrrad durch den leichten Nieselregen und nehme mir einen Moment, um den Besuch zu reflektieren. Meine ursprüngliche Frage, was mit den Katzen passiert, wenn sich niemand mehr um sie kümmern kann, hat mir die Möglichkeit gegeben in ein interessantes Projekt zu blicken. Dank Menschen wie Monika Bossmann haben hilflose Tiere die Möglichkeit ein neues Zuhause zu finden oder ihren Lebensabend im Warmen und mit der nötigen Fürsorge und Pflege im Katzenhaus zu verbringen. Es wäre gut, wenn Einrichtungen wie diese mehr finanzielle Unterstützung durch die Behörden erhalten würden, da sie vollständig auf Spenden angewiesen sind. Ich schwinge mich aufs Fahrrad und frage mich noch, wie mein Hund wohl auf den neuen Geruch reagieren wird.

Falls während des Lesens Interesse an einer Tieradoption oder einer Patenschaft entstanden ist befinden sich alle nötigen Informationen hier:

Mail: info@katzenhaus-luttertal.de