Die Vögel zwitschern, Äste knacken unter unseren Füßen und die Sonne wärmt die Haut. Wenn man die Augen schließt, könnte man meinen die Welt sei in Ordnung.

Doch schaut man sich um, ragen tote Bäume als Gerippe in die Luft. Wie Geister, die uns ermahnen wollen, dass es höchste Zeit ist umzudenken. Bis vor wenigen Jahren war der Klimawandel für uns in Deutschland eine Sache der Zahlen und ein Problem der anderen. 

Nun ist er sichtbar. Seit 2018 sind rund 5% des Waldes abgestorben. Und er macht ein Drittel der Landesfläche aus. Er ist so wichtig, weil er unseren Sauerstoff produziert, Wasser filtert und weil Holz rund zur Hälfte aus Kohlenstoff besteht. Wälder und Moore sind die größten natürlichen Kohlenstoffsenken und damit eigentlich wichtige Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel. Sterben Bäume ab können sie nicht nur keinen Kohlenstoff mehr binden, sondern setzen ihn sogar frei. Von Kipppunkten wird dann gern gesprochen. Der Moment, in dem sich die Richtung ändert, bisherige Funktionen nicht mehr erfüllt werden.

Abgestorbene Fichten im Harz, Foto: Anne-Sophie Knop

Auch ökonomisch trifft das neue Waldsterben viele. Eine Studie des Deutschen Forstwirtschaftsrates hat errechnet, dass zwischen 2018 und 2020 in Wäldern in Deutschland 12,7 Mrd. € Schäden entstanden sind. Denn auch das ist Wald: Arbeitsplatz und Eigentum. Rund die Hälfte des Waldes in Deutschland ist in Privatbesitz. Wer nun an Großgrundbesitzer denkt, liegt falsch. Denn der Großteil hat kleine Flächen, eine Bewirtschaftung lohnt sich in vielen Fällen kaum. Einnahmen fließen oft wieder in die Pflege. Rund 2 Millionen Waldbesitzer gibt es in Deutschland, einige sind von den Klimawandelfolgeschäden betroffen. Für sie werden die nächsten Jahre schwierig. In den meisten Fällen sind Fichten abgestorben. Sie wachsen schnell, das Holz ist vielseitig einsetzbar und lässt sich daher sehr gut verkaufen. Doch als plötzlich viele Bäume von der Dürre betroffen waren, wurde der Markt geschwemmt. Man kam kaum an Maschinen, um das Holz aus den Wäldern zu holen, war es geerntet konnte man es in vielen Fällen nicht verkaufen. Viel Holz wurde exportiert, meist zu schlechten Preisen. Und die Wälder? Die sind nun in einer Phase, in der Geld investiert werden müsste. Zuerst in Pflanzung, aber viel wichtiger und teurer ist die darauffolgende Pflege. Auf die jungen Bäume warten nämlich einige Herausforderungen. Normalerweise wachsen sie unter dem Schirm der alten Bäume und sind dort geschützt vor Frost und Wind. Außerdem sind sie für Rehe ein gefundenes Fressen. Auf den Freiflächen muss also bei großen Frostschäden nachgepflanzt werden, bei viel Verbiss geschützt werden. 

Nicht nur für die Besitzer:innen stellen diese raschen Veränderungen eine große Herausforderung dar, sondern auch für die Menschen, die im und um den Wald arbeiten. Betrachtet man die gesamte Wertschöpfungskette, also auch diejenigen die von verarbeitetem Holz wie Papier oder Bauholz abhängig sind, hängen in Deutschland insgesamt rund 1,1 Mio. Arbeitsplätze vom Wald ab. Eine, die ganz am Anfang der Kette steht, ist Dajana. Sie ist Försterin und startete ihr Berufsleben mit der Katastrophe. Nach ihrem Studium in Göttingen absolvierte sie den sog. Anwärterdienst. Hier werden praktische Erfahrungen gesammelt, die am Ende nochmal staatlich geprüft werden.

„Unsere Ausbildung war auf keinen Fall schlechter als die der vorherigen Jahrgänge, aber es war der reine Krisenmodus“,  erzählt sie über diese Zeit. Um den überlasteten Markt nicht noch mehr zu drücken wurden Wasser- und Folienlager angelegt. Das Holz wird dabei auf Sammelplätze gefahren und dort entweder luftdicht in Folie eingeschweißt oder durch Wasseranlagen ständig nass gehalten. Dadurch können sich im Holz keine Insekten oder Pilze festsetzen. So kann es gelagert und später verkauft werden. Angefangen hat das Ganze im Januar 2018. Friederike hieß das Orkantief, das am 18. Januar mit bis zu 200 km/h in Deutschland Bäume mit einer Holzmenge rund 18 Mio. m3 zu Boden fallen ließ. „Da hat die Katastrophengeschichte gestartet“, erzählt Dajana. Das Holz musste schnell aufgearbeitet werden. Ansonsten kann es zu einer Massenvermehrung von Käfern kommen. Genau das passierte auch. Normalerweise nutzen Borkenkäfer frisch abgestorbene Bäume, um sich dort fortzupflanzen. Sie profitierten von dem neuen Lebensraum. Wird die Käferpopulation größer, fangen sie an sich auch in die Rinde lebender Bäume einzubohren. Unter normalen Bedingungen haben die Bäume jedoch Schutzmechanismen. Sie produzieren Harz, darin werden die Käfer eingeschlossen und sterben ab. Doch das Jahr 2018 hielt noch mehr bereit. Es war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und das 4. Trockenste seit 1881. Auch die lebenden Fichten waren dadurch geschwächt und konnten kein Harz bilden. Die Käfer konnten so ihren Lebensraum auf lebende Bäume ausbreiten und ihre Population wuchs ungebremst. „Man hat wahnsinnig viel gearbeitet. Wir mussten ja nicht nur den Alltag kennenlernen und für die Prüfung lernen. Von allen Beteiligten war besonderes Engagement gefordert. Wer hat sich vorher mit dem Verpacken von Holz und der Genehmigung von Wasserlagerplätzen beschäftigt?“

Nach der Ausbildung ging es in den Harz. Dort besteht der Wald überwiegend aus Fichten. Die Region ist also besonders betroffen. Viele Berufseinsteiger wurden dorthin geschickt, um zu unterstützen. „Flexis“ werden sie genannt und als flexible Revierleiter:innen dort eingesetzt, wo sie besonders gebraucht werden. Dajana hat zwei Revierleiter unterstützt. Sie hat im Wald nach Bäumen gesucht, die durch den Borkenkäfer befallen waren, damit diese schnell entnommen werden können und sich die jungen Käfer nicht weiter ausbreiten können. Dafür muss man jeden Baum einzeln betrachten. Die einzelnen Reviere sind ca. 2000 ha groß, das entspricht rund 2.800 Fußballfelder. Geht man von einem Durchschnittsalter von 60 Jahren der Bäume aus, sind das ca. 2 Mio. Bäume pro Revier.

„Da hat man deutlich gemerkt, dass alle auf dem Zahnfleisch gehen. Es ist alles tot. Das ist der Satz, den ich so oft gehört und so oft gesagt habe.“

Dajana, Försterin

Der Käfer bohrt sich in die Borke und legt dort seine Eier. Die Larven fressen sich durch die Borke. Dort transportiert der Baum aber eigentlich seine Nährstoffe, ist der Fluss unterbrochen stirbt er ab. Man versucht also Bäume zu erkennen, die frisch befallen sind. Diese sollen dann entnommen werden bevor die jungen Käfer ausschwärmen. Der Käfer braucht warme Temperaturen, um sich fortzupflanzen. Normalerweise schafft er es zwei Generationen pro Jahr zu bilden. Durch den langen Sommer konnten sich in Teilen von Deutschland gleich drei Generationen bilden, was das exponentielle Wachstum weiter verstärkte. Dadurch, dass so viel Lebensraum verfügbar war, mussten die weiblichen Käfer nicht weit fliegen, um Bruten anzulegen. Anstatt einer Brut legten sie also teilweise gleich zwei an, sog. „Geschwisterbruten“.

Schwieriger war der Berufseinstieg für Dajana jedoch nicht. „Der Fichtenbetrieb im Katastrophenfall ist relativ eintönig. Du suchst immer nach befallenen Bäumen und hast immer die gleichen Holzsortimente.“ Die Aufgaben waren also nicht schwierig, aber der Umfang und das Ausmaß. Den ganzen Tag nur sterbende Bäume und Negatives zu sehen, das ist belastend. „Kein Gefühl der Selbstwirksamkeit, egal wie viele Bäume du auszeichnest, du wirst den Rest nicht retten.“ 

Mit der Selbstwirksamkeit ist bei der Arbeit im Wald sowieso so eine Sache. Denn einen gepflanzten Baum wird kein Förster in seinem Berufsleben auch ernten. Aber man lebt von dem was die oder der Vorgänger:in hinterlässt. Als Förster:in konzentriert man sich also automatisch auf die Prozesse, auf Pflege und Beständigkeit. „Wenn aber innerhalb kürzester Zeit die Wälder zu Grunde gehen, hast du das Gefühl, das hat gar keinen Sinn mehr was du da machst.“

Wenn man dem ganzen etwas Positives abgewinnen möchte, dann dass die Belastung auch zusammengeschweißt hat. Man hat sich häufig getroffen, hat sich besprochen, Austausch hilft. „Die Hilfe und Unterstützung wurde dankend angenommen.“, man erlebt ähnliches und kann sich auch gut dazu austauschen. Man hat gemeinsam für etwas ganz Grundsätzliches gekämpft. Wo sonst gern über die richtige Baumartenwahl, das schonendste Holzernteverfahren oder die richtige Bejagung diskutiert wird, ging es auf einmal nur noch um etwas Grundlegendes: den Wald zu erhalten. 

Und dabei rückt etwas Entscheidendes in den Fokus: die Ursachen des Klimawandels wirkungsvoll zu bekämpfen und möglichst bald ganz zu beseitigen. Darin liegt die grundlegende Voraussetzung zur Sicherung der Zukunft, denn wir sind nicht über natürliche Prozesse erhaben, sondern ihnen ausgeliefert.