Abterode – Es ist Sonntagvormittag und wie in diesem Januar fast täglich, ist der Himmel hauptsächlich bewölkt. Der kalte Wind weht durch die noch kahlen Bäume. Mein Thermometer im Auto zeigt minus zwei Grad Außentemperatur an. Es liegt zwar kaum Schnee, dennoch sieht es winterlich aus, denn die Bäume sind in Frost gehüllt. Die mit Efeu bewachsenen Eichen stehen über den alten Friedhof verteilt.  Über der Kirchenruine blickt die Sonne gerade durch ein Wolkenloch und über dem hohen Meißner zeigt sich der blaue Himmel.

Der Eingang des Friedhofes Von: Patrizia John

Ich steige aus meinem Auto und höre in weiterer Entfernung Kirchenglocken läuten. Wie passend, wenn man bedenkt, wo ich mich gerade befinde. Eine alte Kirchenruine als Lost-Place? Das erste was mir ins Auge fällt, ist ein abgebrochenes Kreuz was direkt hinter der Mauer steht. Ich gehe weiter an der Mauer entlang und gelange zum Eingang. Wenn man an der Holztafel am Eingang vorbei geht, sieht man viele alte Grabsteine. Durch meinen Kopf schwirrt direkt die Frage, wie alt diese Gräber wohl sind. Die Schriften sind leider nur schwer zu erkennen. Auf einem Stein kann ich entziffern, dass ein Jacob Becker im Jahr 1791 geboren wurde, das Jahr, in dem er starb, könnte 1838 oder 1858 sein. Wind und Wetter haben den Grabsteinen in den letzten 200 Jahren ordentlich zugesetzt. Die Verwitterung macht die meisten Sprüche leider unlesbar.

44 Grabsteine stehen auf dem alten Friedhof Von: Patrizia John

Nun sehe ich mir die Kirche von außen genauer an. Im allgemeinen steht die Kirche auf einem kleinen Hügel am Ortseingang und wirkt burgähnlich. Dies hat auch einen Grund, denn die Kirche wurde anfangs als Wehrkirche gebraucht. Sie hat mehrere kleine Schießscharten im Gemäuer, die noch zu erkennen sind.

Geschichtliches: Die Kirche in Abterode, auch genannt Totenkirche, ist ein gotisches Bauwerk und stammt aus dem 14. Jahrhundert. Es wird vermutet, dass die Kirche als Pfarrkirche für die Abteröder diente. Für besseres Licht wurden im Jahr 1523 zwei der Schießscharten gegen größere Fenster ersetzt. 1544 wurde die Glocke an einen anderen Ort verkauft. Erstmals in 1798 wird der Turm der Kirche als einsturzgefährdet bezeichnet, was aber nicht lang anhielt, denn es folgte eine Reparatur. Berichten zufolge fand im Jahr 1801 die letzte Predigt statt. In 1809 fiel die Kirche dem Vandalismus zum Opfer, wobei auch die Kanzel demoliert wurde. Dies hatte zur Folge, dass der Ortsvorstand die übrig gebliebenen Teile des Kircheninventars illegal verkaufte. Ab 1835 wurde die Kirche nur noch selten für Leichenbegräbnisse genutzt. Das Dach musste erneuert werden, eine Reparatur kam jedoch nicht zustande, weil zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde über die Kostenübernahme gestritten wurde. Im Jahr 1847 stürzte der Turmaufsatz ein und Ziegeln verschwanden vom Dach. Nach 1920 seien in der Ruine Sicherungsarbeiten durchgeführt worden. Im Jahr 1975 wurde die Ruine saniert und der Boden teils mit Platten ausgelegt. Ein Teil des Turmmauerwerks wurde in 2007 ausgebessert und 2009 wurde ein Förderkreis für die Kirchenruine gegründet, die sich um die Erhaltung der Ruine kümmern.

Vorderansicht der Totenkirche Von: Patrizia John

Zu sehen ist nur noch das Mauerwerk, von einem Dach fehlt jede Spur. In der Mitte der Kirche steht eine große Eiche, die jetzt leicht mit Schnee bedeckt ist und im Sommer ein grünes Dach über der Ruine zeigt. Es scheint ein besonderer Ort zu sein, es ist zwar eine Ruine aber dennoch wirkt es auf die Besucher . Wie hier früher wohl die Gottesdienste gefeiert wurden? Es wurden Ehen geschlossen und Kinder getauft. Obwohl es in der Ruine leer ist, kann man sich trotzdem vorstellen, wie es ausgesehen hat, als es noch Bänke in der Kirche gab und eine Kanzel im Raum stand. Wie hat es sich hier wohl früher angehört? Wie laut war die Glocke, die einst im Turm läutete? Jetzt hört man nur die Autos, die auf der Straße fahren, ab und zu aus der Ferne die Glocken von der neuen Abteröder Kirche und Vogelgezwitscher.

Was waren das für Leute, die hier Gottesdienste feierten oder ihre letzte Ruhe fanden? Rainer Gruber, Mitglied im Förderkreis Kirchenruine, erzählt mir, dass sie von den 44 Grabmonumenten 32 Namen der Beigesetzten ermitteln konnten. Das Grabdenkmal von Anna Catharina Wolff haben sie im Jahr 2019 unter einer Grasnarbe entdeckt und wieder aufgerichtet. Bei ihrer Recherche fanden sie heraus, dass die letzte Person, die auf dem alten Friedhof begraben wurde im Jahr 1873 im Alter von 72 Jahren verstarb. Da der alte Friedhof zu der Zeit aber bereits geschlossen war, vermuten sie, dass es eine Sondergenehmigung gegeben habe und sie so neben ihrem Bruder beerdigt werden konnte.

Blick in das Innere der Kirchenruine
Von: Patrizia John
Eine Eiche wächst in der Totenkirche
Von: Patrizia John

Der Förderkreis kümmere sich unter anderem auch um die Erhaltung der Kirchenruine, erzählt Rainer Gruber. „Insgesamt haben wir mehr als 2000 Arbeitsstunden auf dem alten Friedhof und der Kirchenruine gearbeitet. Eine große Erneuerung war die Beleuchtungsanlage, die wir 2012 installiert haben, seitdem wird die alte Kirche auch im dunklen hervorgehoben“.

Man sieht schon aus der Ferne, dass es sich um eine Ruine handelt, um die sich heutzutage wieder gekümmert wird. Als ich durch die Türpforte ins Innere der alten Kirche trete, fällt mir zuerst die alte Eiche auf, die inmitten der Ruine steht. Ich gehe nach rechts, wo ein, ich vermute, Altar aus Stein steht. Ich kann mir vorstellen, dass hier viele Gottesdienste gefeiert wurden. Als ich nach draußen blicke, sehe ich ein älteres Ehepaar, das über den alten Friedhof spaziert.

„Ich denke an die Geschichten der Menschen, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Wie das Leben vor mehr als 200 Jahren hier in Abterode stattgefunden hat. Ich finde es zwar schade, dass die Kirche früher nicht saniert wurde, sondern verfallen ist, aber sie gehört zu unserem Dorf dazu, ist etwas besonderes und ich gehe gerne hier spazieren“

Spaziergängerin an der Ruine

Ich sehe das genauso. Eine mehr als 500 Jahre alte Kirche hat wohl so einiges erlebt. Dass sie nicht wieder in Stand gesetzt wurde, ist zwar schade, aber dennoch ist sie schön anzusehen, passt in das Landschaftsbild und ich könnte mir vorstellen, dass hier weiterhin Gottesdienste gefeiert werden. Rainer Gruber erzählt mir, dass auch genau das zutrifft. Viele Ehepaare geben sich hier das Ja-Wort, weil die Ruine eine besondere Atmosphäre bietet und auch Taufen werden hier veranstaltet. Aber das war noch nicht alles, denn hier finden auch Freilichtkonzerte statt. Die Totenkirche ist zu einem Ort geworden, der zwar verlassen scheint, aber längst nicht verlassen ist. Von einem Lost-Place kann man bei dieser Ruine also nicht wirklich sprechen. Denn der einst verlassene Ort wird heute wieder gepflegt und genutzt. Dennoch bietet die Kirchenruine für Lost-Place Fans und Hobbyfotografen ein spannendes Motiv.