Es ist mal wieder Montag, kurz vor 13 Uhr. Draußen ist es windig und die Gefahr des plötzlichen Starkregens nur allzu real. Die Schlange wartender Menschen ist gefühlte hundert Meter weit. In Wirklichkeit stimmt das nicht so ganz. Lang ist die Schlange trotzdem. Sie geht vom Eingang, den langen gepflasterten Weg hinunter bis zur Bushaltestelle an der Straße um die Ecke. Nein, hier gibt es keine Tickets um Adele’s „30“ live in Vegas zu sehen. Hier gibt es nur eins: Essen. Man könnte fast meinen, die vor Kälte bibbernden Studierenden bekämen sonst nichts. Denn Szenen wie diese ereignen sich fast täglich vor der Mensa am Turm.

Ganz so drastisch mag die Lage vielleicht nicht sein. Trotzdem, auch in der Pandemie scheint die Mensa noch gefragt zu sein, oder? Während die Zentralmensa, der Pandemie strotzend, auch während Lockdown und Online-Lehre zumindest mit einem reduzierten Angebot geöffnet hatte, waren die anderen gastronomischen Angebote des Studentenwerk Göttingen weitestgehend geschlossen. Seit Oktober 2021 empfängt auch die Mensa am Turm wieder hungrige Studierende. Aber ihre Öffnung ging nicht ohne Kontroversen und heftige Debatten innerhalb der Studierendenschaft von statten. Denn was bisher die regionale Mensa war, ist nun die vegetarische Mensa.

Das Studentenwerk der Universität Göttingen bietet mit vier Mensen und acht Cafés ein vielfältiges gastronomisches Angebot: Die Zentralmensa, Mensa am Turm und Lunchbox (Nordcampus) versorgen auch in der Pandemie Studierende mit einer warmen Mahlzeit. Die Mensa Italia hat einen ganz neuen Zweck bekommen, sie beherbergt nun den CampusCovidScreen. Hier bekommen Studierende zwar nichts zu essen, dafür aber einen kostenlosen PCR-Test.

Schon ein Blick auf den großen Bildschirm im Eingangsbereich der Mensa genügt um das in Erfahrung zu bringen. Es gibt zwei Hauptgerichte. Eines vegetarisch, das andere vegan. Vielleicht hängt es mit der Eintönigkeit des Pandemie Alltags zusammen. Aber treffe ich nun auf Kommiliton:innen kommt kurz nach dem Smalltalk über das Wetter (Eigentlich schön, aber der Wind ist so kalt, oder?) auch schon das Thema Turmmensa. Von großer Begeisterung, über noch größeren Ärger hin zum völligen Desinteresse scheint alles vertreten zu sein. Auch nach einem „Mir ist das ja eigentlich egal…“ kommt alsbald ein „Aber“. Nur eine Meinung scheint niemand zu haben, und das ist keine.

Aber was ist eigentlich dran an der Sensation um die „völlig neue“ Turmmensa? An einem verregneten Dienstagmittag mache ich mich auf die Suche nach Antworten. Dafür treffe ich den Geschäftsführer des Studentenwerks. Ironischerweise kann ich deshalb an diesem Tag nicht wie sonst immer in die Mensa gehen. Stattdessen sitze ich an einem Konferenztisch Prof. Dr. Jörg Magull gegenüber, natürlich mit Maske und Abstand. Der Chemiker ist seit 2008 Geschäftsführer des Studentenwerks der Uni Göttingen und erklärt mir in der folgenden Stunde, wie es zu der Umstellung in der Turmmensa kam, welche Rolle die Corona Pandemie dabei gespielt hat und mit welchen Veränderungen auf dem Speiseplan wir Studierende auch in der Zukunft noch rechnen dürfen.

„Wir wollten halt die Studierenden auch mal mit aller Brutalität auf dieses Thema stoßen und einfach sagen: Wir machen eine Mensa komplett ohne Fleisch. Ende. Und zusätzlich, das schmeckt auch noch.“

Prof. Dr. Jörg Magull, Geschäftsführer Studentenwerk Göttingen

Gleich zu Beginn des Interviews wird klar: Die Entscheidung ist nicht willkürlich oder aus einer Laune heraus getroffen worden. Die Universität hat sich dazu verpflichtet das Göttinger Ziel der Klimaneutralität bis 2030 zu unterstützen. Das Studentenwerk spielt dabei eine entscheidende Rolle. Durch Corona musste der gastronomische Betrieb fast vollständig eingestellt werden. Das sei natürlich total traurig, so Prof. Magull, aber es hätte eben auch den Raum für Grundsatzdebatten eröffnet. Egal wieviel grünen Strom oder Erdgas das Studentenwerk beziehe, Klimaneutralität sei ohne den genaueren Blick auf die Co2 Bilanz der verkauften Lebensmittel nicht möglich. Was hat das Studentenwerk also gemacht? Es wurde sich informiert und dann der Transportweg aller Lebensmittel, die in der Mensa auf dem Tisch landen, genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Der Co2 Verbrauch durch den Transport der Lebensmittel ist ungefähr doppelt so hoch, wie der Co2 Verbrauch, der durch die Zubereitung dieser Lebensmittel entsteht. Eine überproportional große Rolle spielt dabei Fleisch. Egal ob Bio oder Gammelfleisch, regional oder vom anderen Ende der Welt, die Co2 Bilanz von Fleisch ist immer schlecht. Die logische Folgerung aus dieser Erkenntnis ist für Prof. Magull ganz eindeutig. In Zukunft wird es in der Mensa immer weniger Fleischgerichte geben. Die Mensa am Turm ist also lediglich Versuchskaninchen und noch lange nicht das Ende der Bemühungen um ein umweltfreundliches Studentenwerk Göttingen.

„Jeder Student und jede Studentin zahlt ja den gleichen Semesterbeitrag und dieser Semesterbeitrag fließt ja auch größtenteils in das Studentenwerk ab. Ich sehe es daher als ungeschriebene Pflicht an, dass das Studentenwerk ein breites Angebot an Essen und Trinken bereitstellt. Wenn nun eine Mensa (…) ihr Angebot nur auf zwei besondere (…) Essensarten richtet, repräsentiert dies nicht für mich dieses breite Angebot von dem ich als Beitragszahler ausgehe.“

Jim, 21, Rechtswissenschaften und Landwirtschaft

Aber es gibt auch immer noch Studierende die meinen sie hätten einen Anspruch auf ihr Fleisch und Aufgabe der Mensa sei es diesem nachzukommen. Immerhin werde das Studentenwerk von den Semesterbeiträgen der Studierenden unterstützt. Prof. Magull schüttelt nur mit dem Kopf, dieses Argument könne er nicht nachvollziehen. Die Co2 Bilanz von Fleisch sei so schlecht, dass es in den nächsten Jahren auch ohne Mitwirken des Studentenwerks deutlich teurer werden müsse. Obwohl die westliche Ernährung sich bis heute noch stark auf Fleisch stütze und auch wenn einige sich noch gegen den Verzicht wehren, ändere das nichts an der Wahrheit. Aufgabe der Mensa sei es, leckeres Essen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Niemand sagt, dass dieses Essen Fleisch beinhalten muss.

„Diejenigen, die sagen ich will das nicht, wenn ich denen Hackfleischersatzprodukte vorstellen würde, in einer schönen Spagetti Bolognese drinnen von Herrn Lanze gekocht, die werden das nicht rausschmecken. Die werden zu allem sagen: Das ist einfach lecker.“

Prof. Dr. Jörg Magull, Geschäftsführer Studentenwerk Göttingen

Auch die Zahlen zeigen, dass der Drang nach dem Fleisch gar nicht so groß sein kann. In der Zentralmensa wird zurzeit je ein Gericht mit und eins ohne angeboten. Im Verkauf werden beide zu gleichen Teilen verkauft. Gemeinsam mit der Turmmensa werden aber momentan mehr fleischfreie Gerichte verkauft.

„Also ich freue mich sehr, dass die Turmmensa jetzt auf veganes und vegetarisches Essen umgestellt hat, da kriegt man einfach nochmal ne andere Auswahl und auch leckeres gesundes Essen. Aber gleichzeitig finde ich es auch gut, dass es in der Zentralmensa immer noch ein Angebot mit Fleisch gibt für die Leute, die das gerne essen. So ist für alle was da und jeder kann seinen Wünschen entsprechend schön lecker Mittagessen.“

Alex, 19, Politikwissenschaften

Den Mitarbeitenden der Mensa kommt außerdem überwiegend positives Feedback entgegen. Abgesehen davon ist die Zentralmensa keine 5 Minuten von der Turmmensa entfernt. Hier wird weiterhin ein Fleischgericht angeboten und das wird auch erstmal so bleiben. Klar ist aber, mehr Fleischoptionen wird es auch bei einer Rückkehr in den Normalbetrieb nicht mehr geben. Die Zeiten sind vorbei.

Wie polarisierend das Thema aber doch noch ist, konnte ich mit eigenen Augen erleben. Am 13. Januar hat GöHört-Das Campusradio anlässlich der Hochschulwahlen eine digitale Podiumsdiskussion veranstaltet. Es wurde über viele schwierige und kontroverse Themen diskutiert. In einer Schnellfragerunde sollten alle Diskutierenden mit einem Emoji ihre Meinung zur Umstellung der Turmmensa kundtun. So weit so gut. Womit aber niemand gerechnet hätte: Auf einmal geht der Chat in die Luft. Es trudeln soviel Kommentare wie zu keinem Thema zuvor ein. Von allen Seiten wird mit Argumenten und Meinungen um sich geworfen. Zum Preis, zur Massentierhaltung, der Angst, dass einem auf einmal vegetarisches Essen aufgezwungen wird, zur Nachhaltigkeit und vielem mehr.

Meinung zur vegetarischen TurmmensaHochschulgruppe Vertreter:in
ProGDFJohn Brühe
ProGSLFelix Wengler
ProGHGPippa Schneider
ProDie LISTENico Schmidt
ProVoltTill Hampe
KontraRCDSAnna-Lena Lutz
ProSRKTim Sterzenbach
KontraLHGJim Christiansen-Weniger
ProJuso HGSSofia Dräger
GöHört Podiumsdiskussion anlässlich der Hochschulwahlen 2022,
Ergebnisse der Schnellfragerunde zum neuen Angebot der Mensa am Turm

Häufig war hier zu lesen, dass durch das neue Angebot der Turmmensa die Preise gestiegen seien. Wenn es jetzt nur noch veganes oder vegetarisches Essen gäbe sei das schließlich viel teurer als vorher. Studierende mit weniger Geld sind dann benachteiligt. Die Realität sieht aber anders aus. Denn ganz bewusst hat das Studentenwerk seine Preise 2020 und 2021 nicht erhöht um Studierende so nicht noch zusätzlich zu belasten. In diesem Jahr mussten sie nun um ca. 10 Cent angehoben werden um sich der Inflation anzupassen. Gleichzeitig stimmt es, dass Fleischgerichte früher günstiger waren als heute, was mit dem geringen Einkaufspreises des Fleischs zusammenhängt. Über die Qualität besagten Fleisches kann sich ja jeder so seine Gedanken machen. Dem Studentenwerk zumindest erschien dies wenig sinnvoll. Es hat deswegen entschieden, dass Fleischgerichte in jeden Fall immer teurer sein müssen als die vegetarischen Gerichte. So hat das Studentenwerk gleichzeitig einen eigenen Marktregulierungsmechanismus geschaffen. Denn wenn es ihr Ziel ist qualitativ hochwertiges aber gleichzeitig im Co2 Verbrauch geringes Essen anzubieten, ist es neben der drastischen Reduzierung des Fleischangebots natürlich auch sinnvoll das noch bestehende Fleischgericht für Studierende so wirtschaftlich unattraktiv wie möglich zu gestalten. Aber es scheint auch ein wenig ambivalent auf der einen Seite das im Einkauf billigste Produkt, mit der im Verkauf geringsten Quantität, am teuersten zu verkaufen, während das im Einkauf teurer, dafür aber häufiger verkaufte Gericht billiger ist. Während der Pandemie sei das aber wohl egal, es gehe ums rohe Überleben des Studentenwerks.

„Wenn man das aus wissenschaftlicher umwelttechnischer Sicht betrachtet, dürfte es eigentlich nur noch einen Fleisch-Tag geben und dann von nem guten Fleisch und das ist halt momentan nicht gegeben und solange muss man auf vegetarische Produkte zugreifen.“

Johann, 23, Forstwirtschaft

Neben diese Regelungsmechanismen des Geschmacks und Preises tritt aber noch ein weiterer. Die Qualität des noch angebotenen Fleischs. Die spielt für Prof. Magull im Interview eine ganz wichtige Rolle. Hier ist kein Raum für Kompromisse. Die Qualität muss hervorragend sein und das müssen die Studierenden auch nachvollziehen können. Und zwar wortwörtlich. Studierende sollten theoretisch in der Lage sein auf den Hof des Lieferanten zu fahren um sich dort selber von der Qualität überzeugen zu können. Wie beim Leinetal Rind oder dem Strohschwein, die bereits in der Mensa angeboten werden. Ein einfaches Label reicht das nicht aus und auch beim Geschmack werden keine Kompromisse gemacht. Bei Geflügel oder Fisch ist das schwierig. Hier gibt es noch keine adäquate Lösung. Trotzdem werden sie weiter angeboten. Die Widersprüchlichkeit ist auch dem Geschäftsführer des Stundentenwerks bekannt. Man gebe sein bestes um auch hier zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen.

Ein Problem werden auch weiterhin Produkte wie Café oder Bananen sein. Die gibt es nunmal nicht regional und ihr langer Transportweg hat eine schlechte Co2 Bilanz. Aber auf den überlebenswichtigen Café will wohl kein Studierender gerne verzichten. Es sind Stellen wie diese, die dafür sorgen werden, dass das Studentenwerk nie ganz Klimaneutral sein wird. Aber langfristiges Ziel ist es das Regionale so gut wie möglich mit dem Saisonalen zu verknüpfen. So kann auch Mensaessen umweltfreundlich sein. Darunter leidet aber natürlich die Rezeptvielfalt. Denn im deutschen Winter gibt es nunmal fast nur Kohl und damit einen Rezeptkatalog zu entwickeln, der sowohl umweltfreundlich als auch Vielfältig ist, scheint gar nicht so einfach. Außerdem brauchen die Mensen natürlich große Mengen von jedem einzelnen Lebensmittel. Ob diese Nachfrage von regionalen Lieferanten überhaupt erfüllt werden kann ist erstmal fragwürdig. Wo es möglich ist, geschieht dies aber bereits. Die Kartoffeln in der Mensa kommen zum Beispiel aus dem Eichsfeld, also ganz um die Ecke. Hinzu kommt die Frage: Was ist eigentlich regional? Um all diese Problemfelder anzugehen bedarf es vor allem eins und das ist Zeit.

Um sich der veränderten Studiensituation durch Corona anzupassen hat sich das Studentenwerk etwas neues einfallen lassen: „Mensen@home“ . An drei Standorten sollen zunächst probeweise Mensaautomaten aufgestellt werden. Studierende können sich dann online ein Gericht bestellen und aus dem gekühlten Automaten abholen. Natürlich bargeldfrei und kontaktlos. Die Gerichte können dann für zwei mal zwei Minuten in der Mikrowelle fertig gekocht werden. Die Mahlzeit kann egal zu welcher Uhrzeit abgeholt und dann entweder sofort oder erst später gegessen werden. Der große Vorteil: Mehr Flexibilität für alle Beteiligten. Haltet also die Augen offen um einen in eurer Nähe zu finden!

Als nächstes soll nun erstmal das vegane Angebot in den Cafés ausgeweitet werden. Gleichzeitig wird der Fleischanteil sowohl in der neuen Mensa am Nordcampus als auch in allen Cafés in der Zukunft stark reduziert werden. Klar ist auch: Die heutigen Schüler:innen – Generation Fridays for future – sind die Mensakunden von morgen. Mit Blick auf dieses Publikum muss das Studentenwerk also heute schon die richtigen Weichen stellen. Und da stehen nun einmal alle Zeichen auf fleischfreie Ernährung. Denn, so Prof. Magull, dann wird nicht mehr gehofft und gebangt auf fleischfreie Optionen, sondern schlicht und ergreifend erwartet, dass das Studentenwerk diese bietet. Und nicht nur die Uni Göttingen macht sich bereit für die Zukunft, auch viele weitere Unis sei nach dem Vorstoß Göttingens auf den Zug aufgesprungen. Denn das Thema Umweltschutz betrifft nun mal alle.

Wir stehen immer noch in der Schlange und warten auf einen der heiß begehrten roten Chips. Dann sind wir endlich dran. Die netten Mitarbeitenden der Turmmensa kennen uns schon und winken und deshalb einfach durch. Das Impfzertifikat haben sie schließlich schon so häufig gesehen. Auf Nachfrage meiner Mensapartner:innen habe ich während der Wartezeit schon einmal das Gespräch mit Prof. Magull Revue passieren lassen. Das nächste mal, wenn jemand mit einem halb gebackenen Argument gegen die Umstellung der Turmmensa um die Ecke kommt, bin ich gut gewappnet. So mein Fazit. Denn egal was jeder einzelne Studierende nun von der Umstellung halten mag, unüberlegt war sie sicher nicht. Und ist es nicht das, worauf wir am Ende des Tages unabhängig von unserer persönlichen Ansicht hoffen können? Also das, und natürlich leckeres Mittagessen!