Gutmütig blickt ein bunt bemalter Elefant aus dem Bilderrahmen zu uns herunter. Die tiefen Sessel, in denen wir es uns bequem machen, laden zum Wohlfühlen ein. Doch Schreibtisch und laufender Computer vermitteln auch: hier wird gearbeitet. Diplompsychologin Penka Schappeit und ich sitzen in ihrem Büro in der Psychosozialen Beratungsstelle (PSB). Es ist der Ort, an dem täglich Studierende den Mut finden, sich ihren Problemen und Ängsten zu stellen. Sie in die Hand zu nehmen, und dabei an die Hand genommen zu werden.

Denn hier können sie Unterstützung finden, wenn sie alleine einmal nicht weiterwissen. Penka Schappeit betont, dass ihre Klienten, wie die hilfesuchenden Studierenden und UniversitätsmitarbeiterInnen hier genannt werden, aus den verschiedensten Gründen kommen: „Viele suchen Hilfe bei ihrem Studienabschluss. Sie verschieben Aufgaben zum Beispiel ständig auf den nächsten Tag oder das nächste Semester.“, schildert sie und erklärt: „Es kann auch die Angst dahinterstecken, wie es nach dem Studium weitergehen soll.“ Nicht immer sind die Themen unmittelbar mit der Universität verbunden: auch Einsamkeit, Depressionen und Ängste sind Themen, die viele Studierende belasten. Hinzu kommt der gesamte zwischenmenschliche Bereich, beispielsweise bei Konflikten mit den Eltern, bei der Arbeit oder in der Beziehung.

Diplompsychologin Penka Schappeit

Und dann sitzt einem hier Penka Schappeit gegenüber. Sie wendet sich einem aufmerksam und erwartungsvoll zu und man versucht in Worte zu fassen, was einen beschäftigt. Der Blick schweift umher, sucht Halt. Versinkt schließlich im kräftigen Gezweig der hohen Bäumen vor dem Fenster und gleichzeitig vertieft sich der Blick in einen selbst. So stelle ich mir den Beginn eines Beratungsgesprächs bei Penka Schappeit vor. Doch heute richte ich meine Augen wieder auf das gespannt lächelnde Gesicht mir gegenüber. Denn heute ist sie es, die ihren Blick ein wenig nach innen richtet und von sich erzählt.

Gradwanderung zwischen Empathie und professioneller Distanz

Dabei merke ich bald: sie ist darin geübt, den Blick ins Innere zu lenken und gleichzeitig präsent im Hier und Jetzt des Gespräches zu bleiben. Es ist Teil ihres Berufs. Penka Schappeit setzt sich täglich mit den Problemen, Ängsten und Schicksalsschlägen ihr zunächst fremder Personen auseinander. Sie möchte ihnen helfen und „sie dabei begleiten, für sich selber neue Wege zu finden.“ Außerdem gefallen ihr die immer neuen Herausforderungen: „Es ist anstrengend, aber es macht auch Spaß das Gefühl zu haben gemeinsam weiterzukommen.“

Trotzdem kann die Arbeit auch zur Belastung werden. Es ist deshalb besonders wichtig, die Themen der KlientInnen nicht zu nah an sie selbst heranzulassen. Penka Schappeit weiß: „Meine Arbeit ist mir wichtig, aber mein Privatleben genauso. Das hilft mir, auch Abstand zu nehmen und Zeit für meine Familie zu haben.“ Die Regel ist klar: Wenn sie abends mit ihrer Tochter spielt und mit ihrem Mann zur Entspannung einen Film schaut, lässt sie die Arbeit im Büro.

Dies wird sie bald für längere Zeit tun, wenn sie zum zweiten Mal in Mutterschutz und Elternzeit geht. Denn eigentlich sind wir beim Interview schon zu dritt. Der Nachwuchs zeichnet sich deutlich am runden Bauch mir gegenüber ab und wird ab Februar ganz Penka Schappeits Aufmerksamkeit beanspruchen. Ihre eigenen Eltern leben weit entfernt in einer Kleinstadt in Bulgarien, wo sie aufwuchs. Mindestens zweimal im Jahr besucht die 31-Jährige ihre Familie in der Heimat. Für ein Aupair ging sie nach der Schule nach Deutschland – und blieb. Nur während des Psychologiestudiums in Magdeburg suchte sie noch einmal das Weite, um durch ein Praktikum Kindern in Indien psychologische Hilfe zu leisten.

Diplompsychologen = Diplompraktikanten

„Ich habe im Studium auch immer nebenher gearbeitet“,  erzählt sie wie selbstverständlich: „im Verkauf, am Fließband und vor allem als Hiwi in der Abteilung für Sozial- und Persönlichkeitspsychologie.“ Sie ist Doppelbelastungen durch Arbeit und Studium gewohnt. Die Ausbildung zur Psychotherapeutin, die sie 2011 in Göttingen begonnen hat und nach der Elternzeit beenden wird, erfordert dies sogar. Die werdenden PsychotherapeutInnen müssen nämlich neben der theoretischen Lehre in Seminaren auch praktische und oft unbezahlte Arbeit in einer Klinik leisten. „Ich hatte Glück, dass ich als Diplompsychologin eingestellt wurde. Viele PiAs in meinem Bekanntenkreis wurden gar nicht oder wie Praktikanten bezahlt.“, erzählt Penka Schappeit. Zusätzlich führen die PiAs (PsychotherapeutInnen in Ausbildung) unter Supervision bereits Psychotherapie durch. Und da die Ausbildung zwischen 20.000 und 40.000 Euro kostet, haben die meisten darüber hinaus noch Nebenjobs, so wie Penka Schappeit in der PSB. Diese Bedingungen führen regelmäßig zu Protesten der PiAs. Sie fordern, genau wie ÄrztInnen während derer Facharztausbildung angemessen für ihre Arbeit entlohnt zu werden. Denn zurzeit zahlen die Kliniken jenen, in deren Hände wir unser Seelenheil legen, oft kaum ein Praktikantengehalt.

Mit Reden ist es nicht getan – etwas Bürokratie gehört auch zum Psychologinnen-Dasein

Wollen sie die viele Arbeit mit der gebotenen Sorgfalt erledigen, stehen PiAs also unter starkem Leistungsdruck. Damit sind sie dem gleichen Faktor ausgesetzt, der auch viele von Penka Schappeits KlientInnen in die PSB führt: dem weitgehend auf Leistung fokussierten Bildungssystem. Kann eine Beratung innerhalb dieses Systems jedoch nicht immer nur Symptombehandlung sein, während sich die Ursachen für viele Probleme mit jeder Klausurenphase reproduzieren?

Den Umständen zum Trotz

Unweigerlich ist das Leistungsdenken zum Teil des Unialltags geworden. Die Regelstudienzeit sitzt vielen als goldenes Maß für Erfolg oder Versagen im Nacken. Wann immer mir KommilitonInnen offenbaren, sie würden mehr Zeit für das Studium benötigen, ist diese Information mit einer Rechtfertigung verknüpft. Mal liegt es am Auslandssemester, mal am Praktikum. Mindestens aber will man die ersten Semester nur gefeiert haben. Länger zu studieren, einfach weil man langsamer lernt oder weil man leider einige Klausuren und Hausarbeiten in den Sand gesetzt hat, ist ein Tabu.

Dabei zeigen die vollen Wartezimmer bei der PSB, dass es vielen so geht. Und obwohl Penka Schappeit die Studienbedingungen nicht ändern kann: „Es geht in der Beratung auch darum zu erkennen, wie man mit dem System umgehen kann, sodass es weniger selbstschädigend ist.“ Wenn Leistungsdruck und Sorgen überhand nehmen, scheint ihr Büro also ein geeigneter Ort, um ihnen Raum zu geben.

Rückt die Prüfungszeit näher, füllt sich meist auch das Wartezimmer.

Den Weg dorthin geht manch einer erst nach einer langen Zeit der Probleme. Gerade deshalb ist Penka Schappeit wichtig, die Hürden so niedrig wie möglich zu halten. Ein kurzer Anruf oder eine Email genügt, um einen Termin auszumachen, der manchmal noch in der nächsten Woche stattfinden kann. „Viele Studenten kommen auch einfach in die offene Sprechstunde. Dort können wir schon kurz klären, welche Hilfe möglich und sinnvoll ist.“, schildert Penka Schappeit. Im ausführlicheren Erstgespräch besprechen sie dann genau, in welcher Situation sich der Klient befindet und was er sich von der PSB erhofft. Gemeinsam entwickeln sie dann ein Ziel und überlegen, wie dieses erreicht werden kann. Im Verlauf weiterer Stunden hilft Penka Schappeit dann mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung dabei, sich dem Ziel Schritt für Schritt anzunähern.

Zuckerbrot ist nur ein Anfang

Das klingt gut, doch ich werde skeptisch. Wie sollen ein paar Gespräche ausreichen, um Studierende aus scheinbar aussichtslosen Situationen herauszuhelfen? Ist die PSB nicht eine weitere Stelle, in der man sich gut gemeinte, aber leider nutzlose Ratschläge abholen kann, die dem Problem nicht im Ansatz gerecht werden? Beim Lesen der Informationsblätter auf der Homepage der PSB stolpere ich über den Tipp, man solle sich bei Lernfortschritten belohnen: eine Botschaft, der ich seit der elften Klasse ein dutzend Mal begegnet bin und die mir sinnlos wie eh und je erscheint. Zwar weiß ich, dass die menschliche Psyche sich durch Belohnung beeinflussen lässt. Trotzdem weigere ich mich, mein Lernverhalten durch Zuckerbrot und Peitsche zu strukturieren. Ohnehin, ernsthafte Zweifel am Sinn des eigenen Tuns lassen sich nicht durch Schokolade nach dem Lernen auflösen – wobei ich zugebe, dass Schokolade selten schadet. Während ich die Homepage weiter studiere, gerät mein voreiliges Urteil jedoch schnell ins Wanken, denn ich stoße auf eine Vielzahl von Vorschlägen, die mir durchaus hilfreich für das Lernen erscheinen. Nicht alle Methoden sind wohl für jeden sinnvoll. Doch muss ich einsehen, dass selbst die Belohnung manchmal wirkt. Denn meine Kommilitonin am Schreibtisch nebenan ist plötzlich hochkonzentriert. Sie hat nämlich entschieden: sie muss nur noch eine Seite fertigschreiben, ehe sie sich selbst in die Raucherpause entlässt.

Wer auf eine Couch à la Freud gehofft hat, wird enttäuscht. VerhaltenstherapeutInnen wie Penka Schappeit sitzen lieber auf Augenhöhe.

Was mir jedoch besonders wichtig erscheint: wer mit Penka Schappeit spricht, bekommt keinen isolierten Lerntipp. Ihre Beratung geht über solche Ratschläge hinaus und unterscheidet sich dadurch von dem, was man immer wieder von Eltern, Bekannten und Dozenten hört. Sie beginnt mit einer umfassenden Problemanalyse. Damit wird deutlich, was die Ursachen des Problems sind und wie sie sich auf verschiedene Lebensbereiche auswirken. So hilft sie dabei, einen Überblick über die komplizierte Lage zu entwickeln und auch Aspekte und Perspektiven zu betrachten, die einem selbst weniger auffallen. Auf dieser Grundlage erst ist es möglich, realistische und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Hier können Lernstrategien ein Teil von sein. Doch das gesamte Vorgehen, scheint mir, gibt einer ganzheitlichen Lösung den nötigen Raum.

Hilfe nach Maß

In dieser Flexibilität sieht Penka Schappeit einen Vorteil der PSB. Denn sie hat keine Strichliste vorliegen, die sie mit jedem Klienten abarbeiten soll, sondern kann jede Beratung individuell an die jeweilige Situation anpassen. So können die Ziele und die Wege dorthin sehr unterschiedlich aussehen. Manchmal reichen wenige Stunden und ein ergiebiger Denkanstoß. Mal begleitet Penka Schappeit die Rückkehr auf den rechten Weg intensiver und über viele Wochen. Und wenn die Probleme tiefer sitzen, hilft sie auch dabei, einen geeigneten Therapieplatz zu finden. Egal, was einem also zu schaffen macht und wie sehr: die PSB ist in jedem Fall eine geeignete Anlaufstelle.

Was aber macht Penka Schappeit selbst, wenn ihr etwas auf dem Herzen liegt? Psychologin zu sein könne schon manchmal helfen, überlegt sie, weil sie viel über Gefühle und Gedankenmuster wisse. Was ihr in schweren Momenten helfe, sei eine sogenannte Realitätsprüfung. Sie frage sich dann: „Wie wichtig ist mir das tatsächlich? Ist es wirklich so schlimm, wie ich gerade denke oder fühle?“ So merkt sie rechtzeitig, wenn aus einer Mücke ein Elefant wird und kann die Dinge wieder entspannter sehen.

Es scheint zu funktionieren. Denn trotz ihrer vielen Aufgaben wirkt Penka Schappeit zwar eingespannt, aber nicht gestresst. Und der nächste Termin zaubert ihr schon ein warmes Lächeln auf die Lippen: „Ich hole gleich meine Tochter aus der Krippe ab“, sagt sie und schließt die Tür zur Arbeit. Mit der Tochter spielen, gemeinsam zu Abend essen, sich entspannen – ihr Abend gehört ganz der Familie.