Der Haupteingang des Seminars für Deutsche Philologie, Heimat vom Theater im OP. Foto: Leonora Wulff

Ein sonniger Märzvormittag in Göttingen: Das Seminar für Deutsche Philologie steht ruhig und abgelegen vom Straßenlärm im Käthe-Hamburger-Weg inmitten des ausladenden Gebietes vom Hauptcampus der Universität Göttingen. Es ist ein friedlicheres Fleckchen Campus als der Platz der Göttinger Sieben, wo immer und jederzeit Trubel zu herrschen scheint.] Die Luft ist frisch und kühl, vereinzelt kann man Vögel zwitschern hören. Zwei Studentinnen sitzen auf den Plätzen neben dem Haupteingang und plaudern. Ein Postbote radelt wacker die Straße entlang.

Um Punkt zehn Uhr tritt eine Frau mit Brille, Kleid und grünem Cardigan heraus. Die Geschäftsführerin des Theaters im OP, Barbara Korte, hat eine Tasse in der Hand, deren Logo-Aufdruck im Popart-Stil es einem leicht macht, sie dem darin abgebildeten ThOP zuzuordnen.

Der ehemalige Operationssaal, der nun die universitäre Bühne beheimatet, wird heute von unten durch den Bühneneingang betreten. Der Gang führt nicht nur auf die Bühne, sondern in einem weiten Bogen auch in die Räume von Requisite, Bühnenbild und Maske, also den Räumen, in denen Ausrüstung und Kostüme für die Stücke zwischengelagert werden und in denen sich die Schauspieler*innen umziehen, schminken und während einer Aufführung aufhalten, wenn sie gerade nicht auf der Bühne sind.

Eine kleine Treppe führt auf die knarzenden Bühnenbretter, umgeben von mehreren Sitzreihen, die in Hörsaalmanier von unten nach oben angeordnet sind. Auf den beiden Sitzreihen direkt an den Bühnenseiten liegen Schilder, die „REIHE BITTE FREI LASSEN“ fordern. Von der dritten Reihe, in der Frau Korte Platz nimmt und ihren Tee auf der Brüstung abstellt, ist ein guter Überblick über die leere Bühne möglich. Hinter dem Vorhang an der Wand blitzt ein einsames rotes Sofa hervor. Von dem frühlingshaften Wetter ist hier nichts mehr zu bemerken, denn große Fenster gibt es nicht. Nur ein schmaler Streifen Sonnenlicht kämpft sich zwischen den schweren, schwarzen Vorhängen hindurch. Um hier nicht über die eigenen Füße oder – noch schlimmer – die Treppen zu stolpern, muss das Deckenlicht eingeschaltet werden. Es ist, als hätte man einen Übergang in eine andere, abgeschottete Welt gefunden.

Dabei ist das Theater im OP sehr eng mit der Universität verbunden: es nutzt Universitätsräume, wird von der Universität mitfinanziert und es werden sogar Seminare und Kurse vom ThOP angeboten, für die geneigte Studierende Credit Points bekommen können. „Das ThOP ist und war meiner Meinung nach schon immer eine Art Schaufenster der Universität zur Gesellschaft nach außen. Es ist aber auch innerhalb der Universität ein Freiraum für Studierende, die sich hier kreativ in vieler Hinsicht ausprobieren können und wo sich auch Studierende aus vielen verschiedenen Fächern begegnen und gemeinsam an Projekten arbeiten“, sagt Frau Korte, „Ich glaube, das ist was ganz Wertvolles.“ Man hört und sieht ihr die Leidenschaft für das Theater und für die ihr übertragene Leitung desselbigen an. Von der ersten bis zur letzten Minute leuchten ihre Augen, während über dieses Thema gesprochen wird. Geschäftsführerin des Theaters ist sie seit 2009. Damit begleitet sie das ThOP, das 2024 40-jähriges Jubiläum feiern wird, für fast die Hälfte seiner Existenz. Die Planungsarbeiten für die Feier beginnen allmählich, verrät sie.

Aber nicht nur Sonderprogramme sind schwierig anzugehen dieser Tage, sondern auch der gewöhnliche Spielplan. Das ThOP hat bis vor zwei Jahren zwischen elf und dreizehn Produktionen pro Jahr zum Besten gegeben, jede davon mit acht bis dreizehn Aufführungen. Seit den ersten Corona-Maßnahmen sieht das allerdings anders aus. „Wir wussten einfach Monate bis anderthalb Jahre im Voraus, welche Stücke wir spielen würden. Durch Corona ist ja alles durcheinandergewirbelt worden. Wir haben Stücke, die teilweise eine Woche vor der Premiere standen, gar nicht aufführen können.“

Die Studierenden, die sich hier engagieren, brennen für das Theater. „Ganz Vieles macht man ja, weil man Freude daran hat. Und weil es einem irgendetwas zurückgibt, wenn man auch unangenehme Aufgaben erfüllt.“ Da ist es natürlich besonders schade, wenn die ganze Arbeit dann für nichts und wieder nichts getan wurde. „Und von dieser Freude und dem Zurückgeben hatten wir in den letzten zwei Jahren nicht so viel.“ Das Mitgefühl schwingt schwer in Frau Kortes Stimme mit und ist ansteckend. Alle, die schon einmal an einem größeren Projekt mitgearbeitet haben, können nachempfinden, was für eine Enttäuschung und Frustration eine kurzfristige Absage da sein muss.

die Bühne des ThOP, umgeben von den ansteigenden Sitzreihen. Ein rotes Sofa steht hinter dem Vorhang
Ohne aufgebautes Bühnenbild wirkt die Bühne einsam. Foto: Leonora Wulff

Aber auch anderweitig tun die Ausfälle weh. Das ThOP wird aus drei verschiedenen Töpfen finanziert, erklärt Frau Korte. Die Universität und das ThOP selbst bezahlen etwa gleich große Beträge, während der dritte Anteil, der etwas kleiner ist, aus vielen verschiedenen Fakultäten und Stellen zusammenkommt. Dazu kommen Spenden über den Förderverein, sowohl Mitgliedschaftsbeiträge für selbigen als auch Einzelspenden. Für den Anteil, den das ThOP selbst finanzieren muss, spielen die Einnahmen aus Kartenverkäufen eine große Rolle. Und diese sind in den letzten zwei Jahren über große Strecken gänzlich weggefallen.

Einem Theater mit so vielen Produktionen tut das weh. Frau Korte zählt auf, was für eine einzelne Produktion an Kosten so anfällt: „Es gibt ein paar „Fixkosten“, die jede Produktion ausgibt.“ Das umfasst hauptsächlich die Werbung: Plakate, Flyer, Plakatrahmen und Plätze im digitalen Stadtfenster fordern einen monatlichen Obolus. Ansonsten werden die Kosten sehr unterschiedlich, abhängig von den Produktionen.

„Wenn ich ein Stück mit fünf Personen in zeitgenössischen Kostümen habe, kosten die Kostüme weniger, als wenn ich fünfundzwanzig Leute in unterschiedlichen, sehr fantasievollen oder historischen Kostümen habe.“ Der bestehende Fundus ist so groß, dass er nicht hinter der Bühne, sondern auf dem Dachboden des Gebäudes ist. Allerdings können Kosten auch verringert werden, indem Kostüme nur geliehen werden oder jemand etwas passendes von Zuhause beisteuert, wenn es die Möglichkeit dazu gibt.

„Und dann gibt es natürlich noch die Aufführungsrechte. Das ergibt Kosten von mehreren hundert bis über tausend Euro, die man an einen Verlag bezahlt, wenn man ein Stück aufführt, das nicht rechtefrei ist.“ Klassiker seien in der Regel rechtefrei – außer man benutzt eine neuere Übersetzung. „Dann fallen auch da Aufführungsrechte an. Zum Beispiel für Shakespeare. Wir reden hier über Kosten – über den Daumen geschätzt – zwischen zweitausend und fünftausend Euro für eine Produktion.“ Je nachdem, halt.

„Das Gute ist, dass wir beim Kulturticket dabei sind“, erläutert Frau Korte, „Sodass wir nicht null Einnahmen hatten.“ Das Kulturticket, das dafür sorgt, dass Studierende die Vorstellungen besuchen können, ohne für die Sitzplätze zahlen zu müssen, wird aus den Semesterbeiträgen finanziert. Es werden feste Beträge an die vom Kulturticket abgedeckten Einrichtungen gezahlt, um dieses Privileg zu ermöglichen. Und aus diesem Betrag hat sich das ThOP in der Krisenzeit über Wasser halten können. Die Dankbarkeit gilt deshalb auch und besonders allen Studierenden. „Wir hatten nie erwartet, dass das mal so wichtig werden würde. Es ist tatsächlich so wichtig.“

Dabei war auch das nicht immer einfach, wie Frau Korte gesteht. „Ich sage jetzt mal was, was eigentlich keiner hören darf“, sagt sie etwas verschwörerisch und lehnt sich vor, als sie von den emotionalen Anstrengungen erzählt, die eine solch unsichere Zeit mit sich bringt. Besonders, wenn man die wichtige Rolle vom optimistischen Felsen in der Brandung zum Besten geben muss. „Wenn man den Leuten gar nichts geben kann – nicht nur keine Credits, sondern vor allem nicht die Erfahrung, dann macht man sich schon Sorgen, wie lange das noch gutgehen kann.“ Auch um finanzielle Sorgen kam man nicht herum, aber die „Nachfolgesorgen“ wogen meist schwerer.

Doch mit den gelockerten Regeln wird das nun hoffentlich wieder besser, sagt sie. Der Publikumsraum fasst unter normalen Umständen bis zu 140 Leute. Lange Zeit wurden nur noch 30 Besucher*innen pro Abend zugelassen. Das ist weniger als ein Viertel. Inzwischen gestatten die Maßnahmen auch wieder mehr Zuschauer*innen, zwischen 50 und 70 Leuten und so, wie sich die Regellockerungen entwickeln, denkt Frau Korte, dass es auch nicht mehr lange dauern wird, bis das ThOP wieder volles Haus haben darf. Theoretisch. Denn das würde wohl nicht sofort passieren, erklärt sie. „So richtig wohl fühlt sich da aktuell noch niemand mit.“ Und Hauptsache ist schließlich, dass alle Beteiligten, Aufführende wie auch Publikum, gemeinsam einen schönen Abend genießen können.

Da ist es besonders erfreulich, dass im Mai die erste neue Premiere gefeiert wird. Und dass es sich dabei um eine studentisch angeführte Produktion handelt, ist umso bemerkenswerter, betont Frau Korte, die für das Stück mit ganzem Herzen Werbung macht. Und während die Geschäftsführerin sich auf den Weg macht, um sich noch um eine Kostümausgabe zu kümmern, macht sich die Regisseurin des kommenden Spielplanauftaktes zu einem Gespräch online bereit.

Master-Studentin Anisha Blanke inszeniert die romantische Komödie „How to Date a Feminist“ von Samantha Ellis. Das Stück von 2016 sollte ursprünglich im Juni erstmalig aufgeführt werden, wurde nun aber vorgezogen. Die Vorfreude ist Anisha auch über den Bildschirm hinweg anzumerken.

Mit noch anderthalb Monaten Vorbereitungszeit sind die Proben in vollem Gange. „Es ist jetzt noch niemand perfekt mit seinem Text“, räumt Anisha ein, aber das sei so weit von der Premiere entfernt auch Usus. „Die Proben laufen an sich ganz gut.“ Viel wichtiger ist, dass die Proben inzwischen wieder in Präsenz stattfinden können. Der Monat weniger Probezeit wird eifrig durch Wochenendproben ausgeglichen.

In Präsenz hat auch im November noch das Casting für die Rollen stattgefunden, erzählt sie. Zum Glück, denn so etwas ist wirklich schwierig, wenn man die Leute vorher gar nicht kennt. Und beim Casting gibt es einiges zu beachten, um eine Rolle gut besetzen zu können oder um einen Eindruck zu gewinnen, wer mit wem besonders gut kann. „Zum Beispiel bei meinem Hauptdarsteller*innen-Paar war das tatsächlich so eine Geschichte, dass die beim Casting schon sehr gut harmoniert haben“, erzählt Anisha. Das hätte online so sicherlich nicht funktioniert, obwohl auch digital noch verspätet im Januar eine Rolle sehr gut besetzt wurde.

Online Theater spielen, das klingt erst einmal befremdlich. Und das ist es für die Schauspieler*innen und die Regisseurin auch zuerst gewesen. Dass so überhaupt geprobt werden kann, ist zwar gut und wichtig, aber es geht doch auch viel verloren. „Wie soll man da die Interaktionen richtig hinbekommen zwischen den Personen?“, bemängelt sie, „Bei vielen Sachen im Dialog kommt es ja auch darauf an, dass man sich quasi Ping-Pong-Bälle zuwirft. Das ist online nicht so wirklich möglich.“

Leider lässt sich das bei den derzeitigen Proben nur bedingt ausgleichen, denn selbst auf der Bühne gilt währenddessen: Maskenpflicht! Werden die Aufführungen zwar ohne MNS gegeben, damit auch das ideale Spiel möglich ist, so ist das Einstudieren vorher einigen Hindernissen unterworfen. „Die Mimik fällt da ein bisschen hinten runter, wenn man mit Maske probt.“

Auch auf Distanz zu bleiben, fordert einen Tribut. „Momentan müssen wir mit Abstand proben.“ Das macht das Einstudieren nicht einfacher. „Manche Szenen wirken auf Abstand einfach nicht.“ Gerade vertrautere Szenen, beispielsweise zwischen Paaren, erschwert das sehr. Aber für die Aufführungen sieht es gut aus. Zum Glück. „Wenn das mit den Lockerungen im April wirklich funktioniert, sollte es auch kein Problem sein, wenn sich die Leute auf der Bühne etwas näherkommen“, erwartet Anisha.

Der kleine Cast war Mitgrund für die Wahl des Stücks, das sechs Rollen beinhaltet. „Zu dem Zeitpunkt, als ich mir das ausgesucht habe, bestand vor allen Dingen die Frage nach kleineren Ensembles. Nach Stücken mit bestenfalls weniger als acht Leuten.“ Große Produktionen wurden zwar in Angriff genommen, sind allerdings eher gescheitert, so auch eine geplante Bühnenversion von Michael Endes „Unendlicher Geschichte“, um die im ThOP sehr getrauert wurde, als sie knapp eine Woche vor Premierentermin letztendlich doch abgesagt werden musste.

Das enorme Engagement von Studierenden findet Anisha umso beeindruckender. Über Umzüge, Ortswechsel und Abschlüsse hinweg bleiben Leute doch ihren Projekten treu. Besonders, da unter den derzeitigen Umständen viel Unsicherheit besteht, ob und wann tatsächlich etwas stattfinden kann, das man sich vorgenommen hat. „Das stelle ich mir sehr demotivierend vor. Auch sehr schade für alle Beteiligten. Das wünsche ich keinem Ensemble, das dieses oder nächstes Jahr spielen möchte.“ Das schränke zwar stark ein, aber es mache das Erlebnis umso wertvoller. Eine ganz besondere Atmosphäre scheint diese Corona-Produktionen zu umgeben.

Eine besondere Atmosphäre gehört auch zu ihrem Wahlstück. „How to Date a Feminist” ist ein Werk, das zum Lachen und zum Nachdenken anregen soll. Es geht um die Liebesbeziehung zwischen einer modernen Feministin und dem Sohn einer Second-Wave-Feministin. „Es hat mich eingefangen mit seinem Witz“, stellt Anisha das Stück vor, „Dadurch, dass dieser ganze Generationenkonflikt auch humoristisch eingefangen worden ist. Es gibt auch Szenen, die ein bisschen selbstironisch sind.“ Einen Dialog bilden, Zugang zum Thema finden. Das war der große Beweggrund, dieses Stück selbst auf die Bühne bringen zu wollen, nachdem sie es im Rahmen eines Seminars gelesen hatte. Und das wird im Mai dann trotz aller Widrigkeiten endlich geschehen.

Ein Glück also, dass das ThOP die Corona-Pandemie überstehen konnte und nun auf bestem Wege ist, den Betrieb wieder aufzunehmen.

Noch ist der Besuchereingang vom ThOP geschlossen, aber das soll sich im Mai wieder ändern. Foto: Leonora Wulff

Wer das ThOP als Einzelperson unterstützen möchte, ohne selbst die Bretter, die die Welt bedeuten, zu betreten, dem kann Barbara Korte nur eines empfehlen: „Man kann kommen und uns zuschauen, denn was ist Theater ohne Publikum. Es gibt auch jeden Monat was anderes. Es ist ein bisschen wie eine Wundertüte!“ Außerdem können Studierende auch an verschiedensten Kursen teilnehmen, um sich einmal auszuprobieren, ohne gleich vor Zuschauer*innen auf der Bühne zu landen. „Wir brauchen immer Leute für Maske, für Kostüm, für Beleuchtung, für Bühnenbau … Man kann hier alles ausprobieren und seine Talente entdecken. Die muss man noch nicht haben.“ Zudem hilft es, das Theater an Familie und Bekanntenkreis weiterzuempfehlen. „Und zu guter Letzt: alle, die zu viel Geld haben, sind natürlich willkommen, unserem Förderverein zu spenden.“

Und dem ThOP, den fleißigen Beteiligten und allen anstehenden Produktionen kann man abschließend nur noch den traditionellen Erfolgswunsch für Schauspieler*innen mitgeben: toi toi toi!