Seit Mitte März müssen Nacht- und Liveclubs geschlossen bleiben. Während große Teile der Gastronomie, wie etwa Restaurants, Kneipen und Bars mittlerweile wieder öffnen dürfen, bleiben die Clubs bisher außen vor. Dabei waren sie die ersten Betriebe, die aufgrund der Covid-19-Pandemie schließen mussten und werden zugleich die letzten sein, die zu einem bisher unbekannten Zeitpunkt wieder öffnen dürfen. Mit der Politik sind viele daher unzufrieden, fühlen sich nicht gut genug unterstützt. Einigen von ihnen droht sogar das Aus. Wie gehen Clubs in Göttingen mit der Krise um und welche Ideen entwickelten sie, um die Zeit der Zwangsschließung zu überbrücken?

Innovation in Krisenzeiten: Der virtuelle Nörgelbuff

Der Nörgelbuff in der Groner Straße gehört mit einer Größe von etwa 100 qm für maximal 120 Gäste zu den kleineren Clubs in Göttingen. Er wird seit 2007 vom Rock Büro Göttingen e.V. betrieben, zu dessen ehrenamtlichen Vorstand auch Sascha Pelzel und Johannes Förster gehören, und wird zusätzlich auch von der Stadt Göttingen gefördert. Das 50-jährige Bestehen sieht man dem Nörgelbuff ihrer Meinung nach an, was jedoch für viele gerade den Charme des kleinen Clubs ausmacht. Musikalisch sei der Club sehr breit aufgestellt, vor allem in den Bereichen Rock und Pop. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Live-Konzerten, aber auch Jazz- oder Lesebühnen finden regelmäßig statt. Viele der klassischen Veranstaltungen des Nörgelbuff haben ihren Weg seit Beginn der Corona-Krise auch in das Internet geschafft. So wurde aus dem Salsa-Mittwoch im Nörgelbuff „Salsa en Casa“ und der Montag blieb auch im Internet „Buff-Tag“, eröffnet von der QuerBeat-Band oder der Nörgelbuff Houseband.

Hinter Gittern: Seit Mitte März gehen nur noch die Betreiber des Nörgelbuff durch dieses Tor.
© Knut Kiesow

Als es Mitte März hieß, alle Veranstaltungen müssten bis auf Weiteres abgesagt werden und der Nörgelbuff schließen, verfielen die beiden zunächst in eine Schockstarre. Waren die ersten Tage davon geprägt, Veranstaltungen abzusagen oder umzulegen, begann relativ schnell die Planung für den „Virtuellen Nörgelbuff“ auf der neu geschaffenen Website noergel.net, auf der am 04. April zum ersten Mal mit einem DJ live gestreamt wurde. Das technische Know-How mussten sie sich dabei zu einem großen Teil erst noch aneignen. Bei der technischen Ausrüstung bekamen sie glücklicherweise auch Hilfe von anderen Göttinger Clubs, die fehlendes Equipment bereitstellten; angefangen bei einem LTE-Router, ohne die der Virtuelle Nörgelbuff gar nicht hätte aufgebaut werden können.

Das Ergebnis ist ein festes und durchdachtes Wochenprogramm, beginnend mit dem „Buff-Tag“ am Montag und „Salsa en Casa“ am Mittwoch. Am Freitag gibt es ein Takeover des Instagramaccounts des Nörgelbuff durch eine Band. Jeden Samstag wird mit einem DJ und verschiedenen Gästen live gestreamt. Gerade die Formate, in denen Bands nun auch online live auftreten, sehen die Betreiber als Möglichkeit, ihren Vereinszweck zu erfüllen, jungen Bands eine Bühne zu geben, die sie aufgrund der Corona-Maßnahmen zurzeit eben nicht haben. Auch ein Pub-Quiz wurde einmal veranstaltet.

Jede Woche live – Das Alpenmax

Auch das Alpenmax gehört in Göttingen zu den Clubs, die während der Corona-Krise Online am aktivsten sind. Betreiber Karsten Epler beschreibt, er sei erst am 13.03, einen Freitagnachmittag, darüber informiert worden, dass der Club am Abend und voraussichtlich auch in den nächsten Wochen nicht öffnen dürfe. Nachdem fehlendes Equipment besorgt wurde, startete schon am selben Abend um 20 Uhr auf Twitch der erste Alpenmax-Livestream mit Epler und dem „Haus-und-Hof-DJ“ des Clubs. Seitdem finden regelmäßig jeden Freitag und Samstag Livestreams statt. Zusätzlich hat das Alpenmax in Zusammenarbeit mit der „Autokultur Göttingen“ auf dem Schützenplatz hinter der Sparkassen-Arena Mitte Juni eine Autodisco veranstaltet. Diese wurde auch im Livestream übertragen, dieser wies die bisher höchste Zahl an Zuschauer*innen auf. Auch vor Ort sei die Idee gut angekommen, Epler spricht von 104 Autos, die genaue Zahl an Personen sei jedoch nicht bekannt. Die hohen Kosten für die technische Umsetzung konnten zwar mit den Eintrittspreisen in etwa ausgeglichen werden, zusätzliches Geld für die Krisenbewältigung sei aber nicht verdient worden, weshalb zunächst auch keine weitere Veranstaltung dieser Art geplant sei. „Das Risiko ist zu hoch, damit auf den Arsch zu fallen, falls eben nicht genug Autos und Personen teilnehmen“, begründet Epler die Einmaligkeit der Autodisco.

„Stay Home“ lautet der Aufruf am Eingang zum Alpenmax.
© Knut Kiesow

Die Betreiber beider Clubs berichten, dass für die Livestreams aufgrund der technischen Erfordernisse sogar mehr Personal benötigt wird als etwa für ein Konzert unter normalen Bedingungen. Da Twitch bei Livestreams auch eine Chatfunktion bietet, kommen beim Alpenmax bei jedem Stream zusätzlich noch drei Moderator*innen hinzu, die dafür sorgen, dass es in dem Livechat etwa nicht zu Beleidigungen kommt.

„Die Spendenbereitschaft ist enorm“

Mit den Teilnehmer*innenzahlen zeigen sich sowohl das Nörgelbuff-Team als auch Epler vom Alpenmax sehr zufrieden. In den vergangenen Wochen jedoch nahmen sie etwas ab, dies könnte mit den zunehmenden Lockerungen zusammenhängen. Das Nörgelbuff will dies für eine kleine Pause nutzen und eine Zeit lang nicht streamen, da die vergangenen Wochen nicht nur sehr nervenaufreibend und angespannt waren, sondern der Virtuelle Nörgelbuff auch einiges an Zeit frisst.

Die Onlineangebote sind aber keineswegs nur ein „Service“ an die (Stamm-)Gäste, auch finanziell helfen sie den Clubs durchaus. So berichten beide Clubs, dass die ohnehin sehr große Spendenbereitschaft gerade in Zeiten, in denen live gestreamt wird, nochmals erhöht ist. Das Nörgelbuff hat sich hierfür zwei besondere Ideen ausgedacht. Natürlich sind die Livestreams jederzeit kostenlos abrufbar, es steht aber auch jedem frei, eine virtuelle Eintrittskarte zu erwerben, um den Nörgelbuff für ihren Aufwand zu entlohnen. Außerdem lassen sich ein oder mehrere „Soli-Bier“ zu jeweils drei Euro spenden. Alpenmax-Betreiber Epler erzählt, es würden sogar Menschen spenden, die gar nicht aus Göttingen kommen, aber durch die Livestreams auf das Alpenmax aufmerksam geworden seien und deren Arbeit nun unterstützen würden. Die Spenden sind eine willkommene Einnahmequelle, um die laufenden Betriebskosten der Clubs zu decken. Bei einer Größe des Alpenmax etwa, wo an guten Abenden über 1000 Gäste bedient werden können, sind diese Kosten aber auch dementsprechend hoch, weshalb das Geld auch schnell wieder weg ist, wie Epler berichtet.

Der Virtuelle Nörgelbuff: Natürlich kostenlos, aber durch eine Spende kann auch eine virtuelle Eintrittskarte erworben werden.
© noergel.net

„Wir wurden vergessen“ – Was tut die Politik für die Clubs?

Die Veranstaltungswirtschaft gehört zu den Branchen, die von der Corona-Krise am stärksten betroffen und in ihrer Existenz massiv bedroht sind. Denn noch immer sind Großveranstaltungen ausgesetzt und dürfen Clubs nicht öffnen. Dementsprechend enttäuscht zeigen sich einige über die mangelnde Unterstützung aus der Politik. Sascha Pelzel bezeichnet die bisherigen Bemühungen für die Veranstaltungsbranche sehr vorsichtig als „bescheiden“. Die Soforthilfe, die über die Niedersächsische NBank beantragt werden konnte, sei aufgrund verschiedener Schwierigkeiten bei vielen Betrieben, Künstler*innen und Veranstalter*innen nicht angekommen: Für das Nörgelbuff etwa war die Soforthilfe kein Thema, da diese für Sie aufgrund einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes für ihre Mitarbeiter*innen nicht beantragbar war. Johannes Förster ergänzt, es hätte regelrechtes Chaos rund um die Vergabemöglichkeiten gegeben. So sei nicht klar gewesen, wer überhaupt Anträge stellen darf, ob etwa auch Vereine wie das Rockbüro hierfür in Frage kämen würden. Es wäre zudem nicht eindeutig gewesen, an wen man sich wenden müsste, falls Hilfe benötigt worden wäre. Hinzu kamen technische Schwierigkeiten, regelmäßig brachen die Server der NBank zusammen.

Auch Karsten Epler vom Alpenmax beschreibt die bisherigen Hilfen wie etwa die Einmalhilfe als „Tropfen auf den heißen Stein“. Für Aufsehen sorgte er in einem Livestream Mitte Juni, in dem er einmal seinen ganzen Frust darlegte und beschrieb, warum er von der Politik enttäuscht ist und was er erwartet. Das zehnminütige Video, das er auch auf den Social-Media-Kanälen verbreitete, wurde etwa 50.000 mal angeschaut. Epler bekam sehr viel Zustimmung von Kund*innen und anderen Clubbetreiber*innen und hofft darauf, dass auch mal der oder die „Richtige“ das Video sieht und sich der bedrohlichen Situation der Veranstaltungsbranche annimmt. Nach Veröffentlichung des Videos bekam er verschiedene Interviewanfragen und Anfragen, auf Demonstrationen zu sprechen, die er jedoch ablehnte. Lediglich die Anfrage eines Youtubers zu einem Interview nahm er an.

Derweil besuchten zwei Göttinger SPD-Politiker das Göttinger Exil, Thomas Oppermann (Bundestagsabgeordneter) sowie Dr. Gabriele Andretta (Landtagsabgeordnete). Im Gespräch mit der Inhaberin hätten die beiden festgestellt, dass das Konjunkturpaket für kleine und mittelständische Unternehmen ein wichtiger Baustein sei, die Existenz der Clubs allerdings nicht allein sichern könnte. Daher müsse jetzt schnell und unbürokratisch nachgebessert werden, führt Andretta in der HNA aus. Welche Taten dieser Ankündigung folgen, bleibt abzuwarten.

„Das Problem ist nicht nur, dass Einnahmen wegfallen, sondern auch, dass viele Ausgaben trotzdem weiterlaufen.“ (Auszug aus einem Spendenaufruf auf noergelbuff.de)
© Knut Kiesow

Auch der Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe e.V. (BDT) versucht, auf die bedrohliche Situation der Branche aufmerksam zu machen und weist immer wieder darauf hin, dass sie dringende Unterstützung benötigen würden und die Branche ohne eine solche eine regelrechte Pleitewelle erfassen würde. BDT-Präsident Pikkemaat befürchtet demnach, dass ohne weitere Hilfe zwei Drittel aller Clubs und Discos die Corona-Krise nicht überstehen würden. Der BDT fordert „schnelle und unbürokratische Hilfe“ und bringt hierfür etwa einen Rettungsfonds sowie eine Fixkostenerstattung ins Spiel. Des weiteren solle ab dem Ersten Tag der Wiedereröffnung auch für Clubs und Discos der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf die Getränkeumsätze sowie Eintritts- und Garderobengelder gelten.

Katharina Dröge, Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag, fordert in der ZEIT ebenfalls, dass die Politik sich stärker dafür einsetzen müsse, dass die Clubs auch nach der Krise noch existieren würden. Denn gerade nach ebendieser Krise würden die Clubs gebraucht, da sie zu den Dingen gehören, die das Leben schöner machen würden.

Alarmstufe Rot: Die Night of Light als Hilferuf

Die nächsten 100 Tage übersteht die Veranstaltungswirtschaft nicht! Mit diesem flammenden Appell initiierte die LK AG aus Essen die Night of Light in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni. Alle Unternehmen aus der Veranstaltungswirtschaft wurden dazu aufgerufen, ihre Location oder ihren Firmensitz ab 22 Uhr mit rotem Licht zu illuminieren. Die Aktion richtete sich an die breite Öffentlichkeit, um auf die dramatische Lage der Branche hinzuweisen und auch die Politik hierauf aufmerksam zu machen. Ziel der Night of Light war es mit der Politik in einen Branchendialog darüber einzutreten, wie die „milliardenschwere Veranstaltungsbranche vor Insolvenzwellen bewahrt werden kann und hunderttausende Arbeitsplätze gesichert werden können“. Nach eigenen Angaben nahmen Deutschlandweit und vereinzelt auch in der Schweiz, Österreich und Italien fast 10.000 Clubs, Unternehmen und Einrichtungen teil.

Ein beeindruckendes, dem Hintergrund entsprechend aber auch bedrohliches Schauspiel bot sich am Abend des 22. Juni auch den Göttinger*innen, die zahlreich auf die Straße gingen und insbesondere vor dem Alten Rathaus am Gänseliesel anzutreffen waren, aber auch etwa am Nörgelbuff mit Betreibern und Mitarbeiter*innen ins Gespräch kamen. Für das Nörgelbuff-Team war es derweil keine Frage, dass sie an der bundesweiten Aktion teilnehmen, als sie davon hörten.

Einige Einrichtungen und Clubs bestrahlten in der Nacht zum 23. Juni die Göttinger Fassaden rot:

Die Zukunftsaussichten der Clubs

„First in, last out“ – Als erste Branche war die Veranstaltungswirtschaft durch die Corona-Maßnahmen betroffen und als letzte wird sie in einer noch völlig unbekannten Form aus der Krise herauskommen.

Können Clubs überhaupt ein Hygienekonzept entwickeln und mit Einschränkungen öffnen? Zumal man sich Tanzen mit Abstand nur schwer vorstellen kann. Viele Stimmen aus der Politik verneinen eine solche Möglichkeit. BDT-Präsident Pikkemaat ist anderer Meinung. „Die Branche hat eine Perspektive vor der Verfügbarkeit eines Impfstoffes verdient“ und kündigte ein umfassendes Branchenkonzept mit effektiven Schutz- und Hygienemaßnahmen an. Und wie sehen die Göttinger Clubbetreiber eine mögliche Öffnung mit Einschränkungen? Rechnen sie noch mit einer Öffnung in diesem Jahr?

Natürlich wollen sie schnellstmöglich wieder ihre Türen für Publikum und Gäste öffnen. Doch Sascha Pelzel vom Nörgelbuff merkt auch an, dass eine Öffnung etwa mit deutlich verringerten Einlasszahlen für einen Club in der Größe des Nörgelbuff keinen wirtschaftlichen Sinn ergeben würde und die Kosten für eine Wiedereröffnung die möglichen Einnahmen übersteigen könnten. Beim Nörgelbuff gehe es daher immer um die wichtige Abwägung dazwischen, den Vereinszweck zu erfüllen und zugleich nicht allzu defizitär zu wirtschaften. Sollten in den nächsten Monaten Lockerungen auch für die Clubszene in Aussicht gestellt werden, würden sie spontan entscheiden, wie sie damit umgehen. Eine zusätzliche Sorge, die aus der Enge des Nörgelbuff entspringt, ist für Pelzel, dass der Nörgelbuff unter Umständen zu einem Infektionsherd werden könnte, was er selbstverständlich vermeiden möchte.

Ein Foto aus besseren Zeiten: Wann dürfen wieder Veranstaltungen im Nörgelbuff stattfinden?
© Johannes Förster

Epler und seine Kolleg*innen vom Alpenmax denken derweil ebenfalls über Konzepte nach, mit einer geringeren Zahl an Gästen dennoch Umsatz zu erwirtschaften, doch auch sie müssten abwägen, ob ein „Hochfahren“ des Clubs – gleichbedeutend mit dem Hochfahren von Kosten – im Zweifel nicht teurer als die weitere Schließung wäre. Täglich hofft Epler auf eine positive Nachricht – in den letzten vier Monaten blieben diese aus.

Es bleibt abzuwarten, wann den Clubs von Seiten der Politik eine Perspektive eröffnet wird – zur Wiedereröffnung oder zumindest zu einem Dialog mit der gesamten Veranstaltungsbranche über finanzielle Hilfen. Denn geschieht dies nicht, werden wohl in wenigen Monaten nur die wenigsten der Clubs die Corona-Krise überlebt haben.