Veganer*innen – sind das nicht diese penetranten Ökofanatiker*innen, die trotz ihres blassen Äußeren mit beeindruckender Ausdauer die Moralkeule schwingen, und anderen den Appetit verderben?

Alina (c) planty_treats

Alina ist seit 1,5 Jahren Veganerin, und entspricht diesem Klischee dem ersten Eindruck nach überhaupt nicht. Wir treffen uns kurz nach Silvester in ihrem Elternhaus in Dortmund, wo sie mich  in ihrem alten Kinderzimmer empfängt – seit Beginn ihres Studiums vor zwei Jahren liegt ihr Lebensmittelpunkt eigentlich in der Schweiz.
Der kleine Raum ist hell, und während wir hineingehen, huscht eine Katze mit dichtem grauen Fell zur Tür hinaus. Laila, eine der beiden Familienkatzen, verbringt ihre Zeit gern bei Alina im Zimmer, wenn sie mal wieder ein paar Tage nach Hause kommt. Da der Weg aus der Schweiz allerdings recht lang ist, macht sie sich meistens nur zu besonderen Tagen, wie jetzt zum Jahreswechsel, auf die Reise.

Vegan leben – kann das gesund sein?

Weihnachten, Silvester und Geburtstage haben vor allem eins gemeinsam: das Essen. Dabei fällt Alina immer noch auf, denn sie ist die einzige Veganerin in ihrer Familie. Es sei nicht immer ganz einfach, sagt sie, da besonders ihr Vater und ihr Bruder der veganen Lebensweise häufig kritisch gegenüberstünden und somit immer mal wieder Diskussionen am Esstisch aufkämen. Unter Zuhilfenahme von medizinisch- wissenschaftlichen Studien werde sie manchmal sogar davon zu überzeugen versucht, sie sei mit ihrer Ernährungsweise besonders stark der Gefahr von Nährstoffmangel ausgesetzt. Es ist offensichtlich, dass Alina diesen Einwand schon oft gehört hat, denn sie quittiert ihn mit einem trockenen Lachen und nimmt der Argumentation im selben Satz den Wind aus den Segeln. Nährstoffmangel, so sagt sie, sei nicht nur ein Problem der veganen Ernährungsweise. Es komme immer darauf an, was man esse, auch wenn man Fleisch und Milchprodukte in seinem Speiseplan stehen hat. Nährstoffmangel sei also kein auf den Veganismus beschränktes Problem.
Begibt man sich auf eine kurze Recherche, erkennt man schnell, dass Diskussionen zu genau diesem Thema vor allem unter der Überschrift „Mangelernährung trotz Überfluss“ geführt werden, und das häufig nicht in Verbindung mit veganer Kost. Viel mehr wird das überwältigend große Angebot von verarbeiteten Produkten diskutiert, die viel Zucker, Fett und Kohlehydrate enthalten, dafür aber wenig lebenswichtige Nährstoffe. Egal welcher Ernährungsweise man also folgt – durch eine zu einseitige Nahrungsauswahl ist jeder potenziell von Nährstoffmangel bedroht.

Veganer essen meinem Essen das Essen weg – und andere Vorurteile

Diese und weitere, auch anklagender formulierte Kritik an ihrer Lebensweise ist für Alina jedoch nicht neu. Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung und Veganer*innen als Personen halten sich hartnäckig. „Auch ich hatte früher Vorurteile gegen Veganer“, sagt Alina. Das überrascht mich, da sie, bevor sie vegan wurde, bereits sechs Jahre Vegetarierin war. „Das heißt nichts, auch viele Vegetarier haben Vorurteile gegen Veganer“, erklärt sie. Häufig werde angenommen, dass die vegane Ernährungsweise vor allem einschränkend sei, und ein hohes Maß an Selbstdisziplin erfordere – sie sei also, kurz gesagt, schwer praktikabel und mit kulinarischen Entsagungen verbunden. Gerade Vegetarier würden Veganer oft für extrem halten, und einige Gegner rückten den Veganismus gar in die Ecke einer Ideologie.
Während ich die bekannten Vorurteile aufzähle, reagiert sie mit einem „Ach, bitte nicht“, und verdreht ironisch die Augen. Sie sei zwar häufig damit konfrontiert, persönlich angegriffen fühle sie sich dadurch aber nicht – nur frustrierend sei es manchmal schon, gibt Alina zu. Insbesondere, da man mit rationalen Argumenten häufig nicht weit bei den Menschen käme. „Es wäre schön, wenn sich mehr Leute dem veganen Gedanken anschließen würden, nicht nur für die Tiere, sondern auch der Umwelt wegen“, erklärt sie. Die meisten seien aber über diese moralisch-ethische Seite nicht zu kriegen.

Dass Alina sich persönlich für die vegane Lebensweise entschied, hat vor allem mit dem Tierschutzgedanken zu tun; die Initialzündung gab dann aber doch ein banaler Zufall: „Ich habe in so einer kostenlosen Zeitschrift, die in den Schweizer Bahnen ausliegt, einen Beitrag über eine Bloggerin gelesen, die sich „plantbased“ ernährt“, verrät sie. Das habe ihre Neugier geweckt, da es nicht den Eindruck gemacht hatte, als wäre eine pflanzliche Ernährung unbefriedigend oder kompliziert. Also hat sie es einfach mal so versucht. „Plantbased“ ist jedoch nicht notwendigerweise vegan; es geht hierbei vor allem darum, möglichst wenig verarbeitete Lebensmittel zu essen. Der Gesundheitsaspekt steht hier vor dem Ethikgedanken, der wiederum beim Veganismus zentral ist. „Das Internet hat das so ein bisschen definiert“, erklärt Alina, und verweist auf die vielen unterschiedlichen Ernährungsweisen, die sich im Dunstkreis des Veganismus bewegen, und von unzähligen Blogger*innen auf diversen Social-Media-Kanälen angepriesen werden.

Spread the message – Veganer*innen auf Social Media

Auch Alina ist in mit ihrem Account @veganorius auf Instagram in der Social Media Sphäre unterwegs, und versucht zu zeigen, dass das Veganer*innenleben oft nicht so ist, wie es von vielen Leuten angenommen wird. Da sie in der Schweiz Psychologie studiert, wo die Lebenshaltungskosten nochmal höher sind als in Deutschland, widerlegt sie schon einmal die weit verbreitete Annahme, dass die vegane Ernährung grundsätzlich teuer sei. Auch hier, sagt sie, käme es wieder darauf an, was man esse. Stark verarbeitete, vegane Fertigprodukte seien natürlich teurer, aber nicht unbedingt notwendig.

Kochvorbereitungen

Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst seien günstig, einfach zu bekommen und garantierten auch eine bessere Versorgung mit Nährstoffen. „Generell ist auch selber kochen hilfreich, da man dann ein Gefühl für die Lebensmittel bekommt“, sagt Alina. Wenn sie kocht, liegen also hauptsächlich frische Zutaten vor ihr auf der Arbeitsfläche. Geduldig aber mit geübten Handgriffen werden sie geputzt, zerkleinert und dann verarbeitet. Essentiell seien auch Gewürze, wobei besonders die asiatische Küche eine große Auswahl und eine riesige Variation von Geschmacksrichtungen bereitstelle. Ist das Essen fertig, gibt Alina sich mit dem Anrichten besonders Mühe, vor allem, wenn sie das Gericht für ihren Instagram Account fotografiert. Aber auch, wenn sie nur für sich Essen zubereitet ist zu erkennen, dass sie auf Ästhetik achtet. „Ich fotografiere gerne, bearbeite gern Bilder, ab und zu spiele ich Gitarre“, erzählt sie. Diese kreative Ader ist beim Kochen deutlich zu erkennen, insbesondere auch, weil Alina fast alle ihrer Rezepte selber kreiert. Sie will zeigen, dass veganes Essen Spaß macht, und man auch geschmacklich auf nichts verzichten muss.

Doch auch wenn Alina selber in der Social Media Sphäre aktiv ist, steht sie dem nicht unkritisch gegenüber. Obwohl sie erzählt, sie sei von einem Blog inspiriert worden, und der Meinung ist, die Blogsphäre eigne sich gerade für Einsteiger, um sich Informationen zu beschaffen, weist sie auf die eigene Verantwortung hin. Blogger*innen würden oftmals keinen fundierten wissenschaftlichen Hintergrund haben und berichteten vor allem davon, was für sie persönlich funktioniert hat. Mehr als eine Inspiration könnte es daher nicht sein – sich selbst über seriöse Quellen bezüglich der eigenen Ernährung und des eigenen Nährstoffbedarfs zu informieren, sei unabdingbar.

Vegan werden leicht gemacht

Leuten, die die vegane Ernährungsweise für sich ausprobieren wollen rät Alina, sich nicht unter Druck zu setzen. „Es ist einfacher, vielleicht erstmal Fleisch,- und Milchprodukte wegzulassen, und dann auf weitere Kleinigkeiten zu achten“, sagt sie. Rückschläge gerade am Anfang der Umstellung sollten einen nicht demotivieren. Vegan zu sein ende nämlich nicht damit, auf tierische Lebensmittel zu verzichten, zumindest nicht, wenn aus ethischen Gründen gehandelt wird – es sei damit auch viel mehr eine Lebensweise, da der vegane Gedanke über die Ernährung hinausgehe. Tierprodukte wie Leder, Pelz oder auch tierische Bestandteile in industriellen Klebern werden ebenfalls gemieden. Doch das ist manchmal nicht möglich. „Wenn man sich umfassend informiert hat, aber keine Informationen darüber bekommt, ob zum Beispiel bei Schuhen jetzt ein tierischer Kleber verwendet wurde oder nicht, dann liegt es außerhalb des eigenen Machtbereiches“, erklärt Alina. Mit solchen Situationen müsse man leben.

Ein bisschen Pragmatismus ist eben auch bei Veganer*innen dabei. Trotzdem hat Alina ihre Wünsche für die Zukunft, wie zum Beispiel, dass Veganismus die dominante Form der Ernährung wird, sich das bestehende Verhältnis also zugunsten einer pflanzlichen Lebensweise umkehrt. Sie wünsche sich, dass mehr Leute offener für den Veganismus werden, und es auch in den Mainstream Medien und der öffentlichen Diskussion ankommt, dass Veganer*innen keine Spaßbremsen sind und „nicht beißen“! Trotz der noch oft vorhandenen Vorurteile ist Alina nicht der Typ, sich unterkriegen zu lassen. Selbstironie ist hier ihr Mittel der Wahl: „Ich habe das Gefühl, wenn man die Vorurteile annimmt und sich darüber lustig macht, dass man dann Humor weckt, und dass das die Leute offener und lockerer macht“, sagt sie. Und mit Humor lässt sich bekanntlich viel besser über ernste Dinge reden.